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Neue Wirtschaftsgesetze kommen so oder so! — Sorgen wir dafür, dass sie demokratisch & fair ausgehandelt werden

Von Hendrik Sodenkamp und Anselm Lenz

Niemand bezweifelt, dass sich die Corona-Krise mit dem globalen wirtschaftlichen Zusammensturz überlagert. Die Weltrezession kündigte sich bereits seit Mitte 2019 an. Jetzt sind Transparenz, Demokratie und Wissenschaftlichkeit gefragt — und bereits erarbeitete Vorschläge zur fairen Aushandlung unserer Zukunft.

Das westliche Zivilisationsprojekt befindet sich nach vier Jahrzehnten des Niedergangs im Nadir seiner Glaubwürdigkeit. Wissenschaftliche Erkenntnis über die Auswirkungen der Ökonomie und Erfahrungen von Menschen in der Arbeitswelt wurden fortgesetzt ignoriert. Die Hoffnung auf ein Ende der Geschichte durch Aussöhnung der beiden ungleichen Geschwister »Freiheit« und »Gleichheit« ist nicht erreicht worden. Nicht die Menschen des Westens sind in der Krise, ihr ökonomisches System – und die diesem zugrundeliegenden Gesetzestexte – bringen nicht mehr das Potenzial gesellschaftlicher Praxis überein.

Gegenüber der zunehmenden Disparität von geltenden Gesetzen und ökonomischer Wirklichkeit scheinen die Fluchtpunkte eine beschleunigte exklusive Globalisierung oder der Rückfall in identitäre Gruppen zu sein. In diesen beiden Extremen scheint ein Glaube an einen Kultus auf, der die Ökonomie der Gestaltbarkeit durch menschliche Übereinkunft entzieht. Am Ende beider Entwicklungsstränge, die diametral voneinander streben, folgt jeweils für sich, wie auch in der Gleichzeitigkeit ihres Auftretens, die militärische Gewalt. Etwas geht zu Ende.

Der Kollaps der alten Ordnungsvorstellung wird in dem Moment ein Anlass zur Freude, in dem wir uns vergegenwärtigen, dass die Aufrechterhaltung gewohnter Regelmäßigkeiten mit einer horrenden Last an Staatsschulden, Zinsen, Mieten, Steuern und allgemein der Bereitstellung von Ressourcen für die Verfehlungen einer verblassenden Vergangenheit einhergeht, die bereits heute die jungen Generationen schwer belasten, ohne, dass sie jemals gefragt wurden.

Am Ende der Neoliberalen Epoche steht ein Tribunal, um aus dem Versagen der Regeln der Vergangenheit für die unmittelbar bevorstehende Zukunft zu lernen.

Denn es ist schließlich gar nicht so schwierig zu begreifen: Der Planet ist kugelförmig und damit endlich. So sind alle lebenden und zukünftigen Menschen bis auf Weiteres in ein unausweichliches Verhältnis untereinander und zur Materie gesetzt. Der Zustand dieses Verhältnisses findet seinen Ausdruck in der Ökonomie und im Recht; sie stehen in einem inneren, systematischen Zusammenhang.

Die Spielregeln der Ökonomie sind keine Naturgewalt, sondern fußen immer auf konkreten, menschengemachten Rechtsetzungen. Die derzeitige Ökonomie entfaltet sich also auf Gesetzestexten, die sie und ihre Auswirkungen ermöglicht haben und fortgesetzt mit der Gewalt des Rechtsstaats durchsetzen. – Doch. Hier stehen wir, wir können auch anders!

Es muss jetzt eine Entscheidung getroffen werden, wie sich Europa entwickeln möchte. Provinz der Welt ist der europäische Kontinent bereits jetzt – wer einmal in einer Kleinstadt gelebt hat weiß, dass das nichts Schlechtes sein muss. Wollen wir, die Leute, nun in Europa mit einem Minderwertigkeitskomplex zur alten ökonomischen und imperialen Größe zurückstreben – oder einen Weg einschlagen, der in eine Zukunft führt, die anders ist und tatsächlich fortschrittlich? Und das heißt: unter der Prämisse von Freiheit und ökonomischer Gleichheit für alle Menschen.

Was zu diesem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte als Notwendigkeit und Möglichkeit vor unser aller Augen aufscheint ist ein faires, transparentes und basisdemokratisches Verfahren, welches die Grundlagen eines anderen Rechts setzt. Ein Kapitalismustribunal. Es verhandelt fair die ökonomischen Regeln der vergangenen Epoche, um daraus für die unmittelbar bevorstehende Zukunft zu lernen und über diese zu urteilen. Es nimmt keine Setzung des Eigentlichen des menschlichen Zustandes vor, den es politisch wiederherzustellen gölte, sondern erringt in der Form des Rechts den Möglichkeitsraum zurück, in dem sich Ökonomie entfaltet (Emergenz).

Gesetze und Ökonomie werden zum Gegenstand menschlicher Gestaltung. Denn: Nicht die Ökonomie entsteht aus dem menschlichen Handeln und kann durch Gesetze nur eingedämmt werden, wie etwa die Spielregeln für einen sportlichen Wettkampf, die diesen möglichst »hart, aber fair« ablaufen lassen; vielmehr entfaltet sich die Ökonomie erst auf Regeln, die immer grundlegend wirksam sind und im weiteren Verlauf menschlichen Wirtschaftens fortwirken. Das Kapitalismustribunal rückt die Emergenz aller Ökonomie aus den Gesetzen erstmals systematisch in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen und juristischen Erforschung, um daraus rechtswirksame Grundsätze abzuleiten. Es geht dabei um ein ergebnisoffenes, transparentes und wissenschaftliches Verfahren, dass die nachvollziehbaren Interessen keines Menschen per se ausschließt: Die der ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Überarbeiteten, Jungen und Alten, der kleinen und mittleren UnternehmerInnen, der Freischaffenden, der Fleißigen und Faulen, der Alteingesessenen und Zugezogenen, den verschiedenen Geschlechtern, den persönlichen Vorlieben und so weiter und so fort.

Außerdem: Derzeit gültige Rechtstexte — in ihrer vornehmsten Form also die Erklärung der Menschenrechte von 1948— aber auch Verfassungstexte, formulieren bürgerliche Positivrechte dessen, was in einer Ökonomie jeder Bürgerin und jedem Bürger zukommen soll. Die Adresse der Gewährleistung ist dabei immer der Staat oder eine staatsähnliche Autorität. Die in allen diesen Texten kodifizierten Gesetze sind Individualrechte, die unsystematisch nebeneinander stehen. Sie kommen einem Forderungskatalog gleich, der auf »der Gnade« der jeweiligen Autorität fußt. Ihre Umsetzung scheitert auch an eben dieser Mangelhaftigkeit ihrer Ausgangsbasis.

Die erstmalige und systematische Formulierung ökonomischer Grundlagenrechte für jeden Menschen, welche die Menschenrechte in den Verfassungen vervollständigen, stellt eine juristische Revolution dar, die aus zynischen, übereilten, unwissenschaftlichen oder ahistorischen Perspektiven nur unterschätzt werden kann. Nicht die abrupte Umsetzung ist die Intention. Vielmehr wird durch das Tribunal über die ökonomischen Regeln der Vergangenheit ein grundlegender Wechsel der Perspektive für die Grundlegung des Rechts erstmals vollzogen und kodifiziert.

Was so abstrakt und kleinlich klingen mag, ist in sozialemanzipatorischer, individualistischer und zugleich im besten Sinne konservativer Hinsicht eine Verfeinerung. Es bedeutet eine Umwälzung der Entstehung der grundlegenden Spielregeln menschlicher Ökonomie auf einem begrenzten Planeten, der in der Folge erstmals allen lebenden und künftigen Menschen gleichermaßen gehört – und auf dem von diesem einleuchtenden Axiom aus weitergedacht werden kann.

Eine wissenschaftliche und im Modellversuch erprobte Vorarbeit zur Verfahrensweise —


Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp publizierten »Zur Revolution ökonomischer Rechte« 2016 im parteiunabhängigen Passagen Verlag, Wien; Herausgeber der Reihe: Dr. Peter Engelmann.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 1 am 16. Apr. 2020




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