Hier drinnen in der BRD

Hausdurchsuchung bei DW-Herausgeber Hendrik Sodenkamp | Ein Tagesbericht

Von Hendrik Sodenkamp

Morgens, halb zehn in Deutschland: Heute, am 30. September 2025 stand bei mir die Staatsmacht vor der Wohnungstüre. Knapp zehn Mann von Zoll und Polizei waren anscheinend notwendig. Irgendwann musste es ja kommen.


Um es gleich vorwegzusagen, ich will den Vorgang nicht überdramatisieren. Das heute spielt nicht in einer Liga mit dem Einmarsch der Staatstruppen bei oppositionellen Ärzten wie Dr. Walter Weber, Michael Ballweg, Sabrina Kollmorgen, bei Compact, dem Künstler Prof. Rudolph Bauer und bei vielen anderen Demokraten im Deutschland der Gegenwart. Aber hey, ich hatte heute zehn Leute in meiner Wohnung, die alle Schubladen durchwühlt haben; das Einzige, was positiv daran ist, ist die Story, die ich jetzt erzählen kann.


Und weil es dann doch etwas über das Deutschland sagt, in dem wir heute leben müssen – und es so ganz ohne Skandal dann auch nicht war: Warum es nicht erzählen?


ALLES AUF

EINMAL


Das doppelte Pochen heute Morgen an meiner Wohnungstüre hat seinen Ursprung nicht am Anbeginn der Menschheit, aber im Jahr 2021. Anselm Lenz und ich hatten nach gut einem Jahr Arbeit und zehn (?) politischen Kontokündigungen mit unserem Unterstützerverein KDW e.V. die Sodenkamp & Lenz Verlagshaus GmbH gegründet. Zum einen in der Hoffnung, dass es bei Unternehmen nicht so schnell zu Kontoschließungen kommt. Und außerdem, um Gehälter auszahlen zu können. Nach über einem Jahr Arbeit an der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand war das Limit von ehrenamtlicher Arbeit erreicht, sowohl für uns als auch für unsere Redaktion und für unser Team. Wir mussten den Widerstand auf dauerhafte Strukturen stellen: Das Krisen- und Kriegsregime wollte einfach nicht enden. Und heute, viereinhalb Jahre später, muss man sagen, damit hatten wir einfach recht.


Gestern war ich nachts spät aus unserer Redaktion in Berlin nach Hause in meinem Zuhause, einer Wohnung im zweiten Stock eines Mietshauses in einer hübschen Kleinstadt nördlich der Hauptstadt gekommen. Wir hatten in der vergangenen Woche zum ersten Mal eine Pause mit der Wochenzeitung ausgerufen. Dementsprechend hoch war der Aufwand, den ich den ganzen Tag über für Mailbeantworten, Sorgen zerstreuen und Telefonate hatte aufbringen müssen. Kurz: Um 2 Uhr war ich zuhause, und hatte, weil der Kopf noch rauchte vom Tag und dem ganzen Trubel, zwei Bier getrunken. Um vier Uhr lag ich dann im Bett. Als es dann um halb zehn Uhr an meiner Wohnungstüre zuerst klingelte und dann sofort klopfte, lag ich also noch im Bett. Auf mein Rufen, wer da sei, kam keine Antwort.


Es ist schon komisch, natürlich hatte ich mir diesen Moment ausgemalt. Der Bademantel hing auch bereit. Aber als es dann so weit war, zog ich mir die Hose an. Und öffnete die Türe.


In mein Blickfeld kamen sechs Männer, uniformiert mit der Aufschrift Zoll und Polizei. Weitere standen dann noch auf der Treppe, wie ich später merkte. Mehr hatten anscheinend nicht in den kleinen Hausflur vor meiner Dachgeschosswohnung gepasst. Mein erster Gedanke: »Keine Sturmmasken, keine Maschinengewehre. Die wollen mich nicht verhaften, die sind wegen der Krankenkasse da.«


Die Geschichte mit der Krankenkasse (aus familiärer Anhänglichkeit die Techniker Krankenkasse) hatte, wie gesagt, im Jahr 2021 begonnen. Als damals frisch gebackener GmbH-Geschäftsführer hatte ich meinen Zettel mit den Einkommensangaben als Selbstständiger ausgefüllt und abgegeben. Ein paar Wochen später dann die Antwort: Mehr als 300 Euro wollten sie von mir. Bei einem Gehalt von 1.500 Euro. Die Kosten für die bescheidene Wohnung 400 Euro. Was nach Abzug von allem dann übrigbleiben sollte, war so dermaßen knapp über Hartz IV, dass ich die Angestellte in der Filiale fragte: »Seid ihr sicher, dass ihr euch nicht verrechnet habt?« Die Antwort: Nein, das sei akkurat korrekt. »Aha. Das könnt ihr sowas von vergessen«, so mein nicht sonderlich smarter Gedanke.


»BEI IHRER SZENE

WEISS MAN NIE«


»Wir haben hier einen Gerichtsbeschluss wegen offener Forderungen …«, kam es aus einem der vielen Beamtenmünder vor meiner Wohnungstüre. Auf der Brust, die zu dem Mund gehörte, stand Zoll. »Kommt rein. Ihr macht mir hier die Nachbarn nervös. Und warum seid ihr so viele? Zehn Mann?« – »Bei Ihrer Szene weiß man nie! Sind noch weitere Personen oder Waffen in der Wohnung?« – »Nein, ich bin allein. Ihr kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.« – »Wieso?«


Seit Wochen war meine Partnerin nicht da gewesen. Junggesellenwohnung-galore. Bierflaschen auf dem Tisch. Von gestern, vorvorgestern und vorvorvorvorgestern überall Ordnungswidrigkeitsbriefe, weil die grüne Bezirksverwaltung bei meiner Partnerin in Berlin die geniale Idee hatte, eine Anwohnerparkzone einzurichten, für die ich keinen Anspruch hatte. Parkplätze, die ich aber nutzen musste, wollte ich bei ihr sein. Eine Anwohnerparkzone, die praktischerweise täglich mit KI-gestützten Kamera-Überwachungswagen des Ordnungsamtes abgefahren werden konnte. Geschirr nicht abgewaschen, kein Staub gewischt und der kaputte Kühlschrank (den ich nicht sauber gemacht hatte) steht auch noch mitten in der Landschaft herum. Eine Riesensauerei also. Unangenehm. So empfängt man keine Leute, selbst uneingeladene nicht.


Die Beamten treten ein. Einer nach dem anderen. Es wird also eng im kleinen Flur. »Wir setzen uns jetzt einmal in Ruhe hin und besprechen das alles, während die Kollegen sich umschauen«, sagt der Zollbeamte, der mir auch den Anlass dieses Mannschaftstreffens in meiner Wohnung vorgetragen hatte. »Was ist das hier mit ihrer Krankenkasse?«, fragt er noch im Gehen. »Mal bezahlt, dann wieder nicht.«


DIE GANZE WELT

SCHWÄRMT DAVON, HEISST ES


2013: Meine Ex-Freundin aus Quebec schlägt in einer manischen Episode in meine Berliner Altbau-Fensterscheibe. Dramatisch gezackte Einfachverglasung, wie auf einer Polarexpedition von Caspar David Friedrich. Überall Blut. Sehnen am Handgelenk durchgeschnitten. Die baumeln aus der Wunde. Im Krankenhaus sind sie damit beschäftigt, sie ruhig zu bekommen. »In dem Zustand kann ich sie nicht operieren«, sagt die Ärztin, stattdessen Psychiatriestation im hässlichsten Krankenhaus Ostdeutschlands: Urbankrankenhaus bis die Manie vorbei ist. Die schäbige Ausländerkrankenkasse (AXA) übernimmt keine Kosten, auch nicht für den Krankenwagen. Es dauert rund einen Monat, bis wir einen OP-Termin bekommen. Da ist die Manie gegangen und die Depression gekommen, genauso super. Vor jedem Treffen mit einem Arzt müssen wir in den Verwaltungstrakt gehen: Zahlungsplan. Die Sehnen werden dadurch auch nicht geschmeidiger. »Osti de crisse de tabarnak«, sagt sie dazu, die nun arbeitslose Tänzerin. Ich zahle währenddessen die Kosten ab.


Auch 2020 schlägt das angeblich weltweit bewunderte deutsche Gesundheitssystem zu. Alles wird dicht gemacht, damit es nicht zusammenbricht, heißt es. Überarbeitete Pfleger, wer hat sie nicht kennengelernt? Weil wir alle wissen, wie schlecht es ist, funktioniert die Coronalüge. Und nun 2021, da soll ich auf Hartz-IV gehen, mit einer 60 Stunden-Woche. »Vergesst es,« denke ich mir, das Gesundheitssystem hat mir schon Jahre meines Lebens geraubt. Auf die eine oder die andere Art. »Nein.« Wie gesagt, nicht sonderlich smart. – Aber wenn ich meine Wohnung, meine Klamotten, meinen Lebenswandel anschaue. Da ist doch nichts zu holen. Wie hätte ich das überhaupt zahlen sollen?


»Ja, ich habe auch mal Krankenkasse gezahlt«, sage ich dem Zollbeamten auf seine Frage, während wir uns an den Schmuddeltisch in meinem Wohnzimmer setzen. »Und auch den Gerichtsvollzieher, nachdem ich eine Zeitlang nicht gezahlt hatte. Aber ich habe dann aufgehört.« – Aufgehört hatte ich 2024, weil da »Markus Haintz« mal wieder unsere GmbH-Konten mit irgendeiner absurden Forderung gepfändet hatte und die Post bezahlt werden musste. Dann kam der Trubel um Näncy und die täglichen KI-Parkraumüberwachungstickets im Briefkasten und ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese groteske Forderungsgeschichte dieses Staates, aber das sagte ich nicht. Ich wollte hier nicht mit der Politgeschichte anfangen, die man von mir erwartete.


UNS GEHT ES

NOCH SO GUT!


Stattdessen lobt der Zoll-Beamte: »Schöne alte Sessel, haben sie.« – Ebay-Kleinanzeigen, drei Stück für 15 Euro nach Todesfall einer Omi im Nachbardorf, Anfang 60er-Jahre DDR, immer noch brauchbar, aber wenn wir ehrlich sind: mittlerweile Schrott. Ich folge den Blicken des Beamten: Die Wände kahl, keine Bilder. Protestant. Bücherregale und mein altes E-Piano. »Wehe ihr nehmt mir das Klavier«, denke ich, »dann ist hier Schluss mit freundlich«. Die Seele ruht in Jesu Händen, steht aufgeschlagen auf dem Notenpult. Das ist dem Zollbeamten aber ziemlich egal. Der schaut sich in dem Zeug um und notiert laut irgendwas wie »Wohnung mit bescheidener Einrichtung«, während ein Polizeibeamter zur Sicherheit hinter seinem Rücken abgestellt ist. – Jetzt im Nachhinein erinnere ich mich, wie man so eine Durchsuchung richtig macht. Immer dabei sein, wenn Zimmer durchsucht werden. Ein Zimmer nach dem anderen. Und: Bademantel anziehen, man weiß ja nie, wer von der Politik noch zum Fotoknipsen eingeladen wurde. Aber, wie gesagt: Ich war nicht ganz auf der Höhe.


»Haben Sie Geld in der Wohnung?« – »Ja«, sage ich. »Da im Regal, da ist ein Umschlag mit rund 2.000 Euro drin. Ein Notgroschen für unseren Verlag. Das ist nicht mein Geld, und das steht auch drauf: Eigentum der Sodenkamp & Lenz Verlagshaus GmbH«. Der Zollbeamte lässt sich den Umschlag geben. Und mein Portemonnaie und schaut es durch. 50 Euro sind darin. Er guckt alle alten Kassenzettel durch, die ich in dem Geldbeutel habe (alte Angewohnheit), ob sich darin noch ein Schein versteckt hat. Sein Blick fällt auf eine Visitenkarte des AfD-Gründers und -Bundestagsabgeordneten Martin Renner. Das lässt ihn stutzen, das sehe ich. So eng bin ich mit Martin Renner jetzt nicht. Ein einziges längeres Gespräch unter der Reichstagskuppel beim Bundestagsempfang für alternative Medien. Aber hier, als zehn Beamte in meiner Wohnung stehen, spielt er jetzt auf einmal eine Rolle. Das machte alles überhaupt keinen Sinn. – »Ich kann Ihnen das hier geben«, und reiche meine eigene Visitenkarte. »Dann können Sie anrufen und müssen hier nicht einfach so aufkreuzen.« – »Kollegen haben es ja bereits versucht«, sagt er. »Ja, ebenfalls unangekündigt, unter der Woche, wenn ich bei der Arbeit bin. Natürlich bin ich da nicht da.«


Währenddessen kommen immer wieder Beamte aus dem Nachbarraum, wo meine Unterlagen sind, in den Raum und fragen nach: »Sie haben ein Auto?« – »Ja, einen Hyundai, Baujahr 2000.« –»Kennzeichen?« – »Puh, keine Ahnung. Ich hatte jetzt mehrere Endstationswagen. Der steht hier um die Ecke, müssen Sie kurz gucken?« – Ein Beamter geht los. »Nehmt mir nicht das Auto«, denke ich. – Nun wird abgefragt, wie viel Geld ich noch auf dem Konto habe (ein paar hundert Euro hinter der Pfändungsschutzwand, ich komme also nicht dran). Es wird erstaunlicherweise auch gefragt, wie viele Schulden ich habe (nur Krankenkasse und diese Parkzettel). Als ob das diese Herren nicht wüssten. Warum sind die hier?


Rund 35.000 Euro soll ich der Krankenkasse schulden. So steht es auf dem Schrieb, den mir der Zollmann gibt. Aber die haben einfach irgendwann angefangen, den Höchstsatz zu berechnen. – »Reden Sie mit denen«, sagt der Beamte, dann wird das weniger. Klar. – Auf meinen Einwand, dass die Krankenkasse zwar Geld von mir will, aber mir nicht einmal eine Krankenkassenkarte zuschickt, ich zahle, aber keine Leistung erhalte, antwortet er: »Das Bein werden sie Ihnen im Notfall schon amputieren und der Krankenkasse berechnen.« (Keine Ahnung, wo das herkam. Weil ich eine Zigarette rauchte? Raucherbein?) – Da hatte er natürlich Recht. Im Notfall wird man behandelt, auch ohne Karte. Mehr ist aber so einfach nicht drin, Zahnarzt-Routineuntersuchung oder sowas. Das fällt mir in diesem Moment aber nicht ein, und so bleibt mein amputiertes Bein im Raume stehen.


Aus dem Nachbarraum wird meine alte und kaputte Armbanduhr geholt, die hatten mir meine Eltern geschenkt, als ich 16 war: Tissot, Automatik, ehemaliger Wert rund 300 Euro. Ging kaputt, als ich im Jahr 2022 in Kassel verhaftet wurde, weil ich meinen Presseausweis am Rande einer »verbotenen Versammlung« vorgezeigt hatte. Es folgten: Stunden an einer Wand in Polizeigewahrsam stehen, Fahrt aufs Revier, alle Gegenstände abgeben, auch die Uhr, ab in die Zelle – von unten bis oben gekachelt wie im Schlachthaus. Dann Verhör wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung (Presseausweis!), Fingerabdrücke genommen, nach ungefähr drei Stunden entlassen. Nach einigen Monaten und nach Beschwerden meines Journalistenverbandes: Verfahren eingestellt. Was blieb, war, dass diese Uhr in Polizeigewahrsam kaputt gegangen war. Da blieb die Zeit stehen (kein Witz). Andere Beamte nehmen sie jetzt als Pfand für das Gesundheitssystem mit. Da schließt sich der Kreis.


Ein anderer Beamter kommt aus meinem Schlafzimmer mit einer Ringschatulle. »Was ist das?« – »Ein Ring, habe ich geschenkt bekommen, um ihn als Verlobungsring an meine Partnerin zu geben. Doch ich fand ihn nicht schön genug und habe ihn nicht überreicht. Jetzt ist sie nicht hier. Nehmt das Teil mit.« – »Was ist das für ein Stein?« »Keine Ahnung, Bergkristall oder Glas vielleicht, winzig auf jeden Fall.« Drei Beamte versuchen die Goldpunze zu entziffern. Einer nach dem anderem. Bares für Rares, aber ohne Experten. Angeblich soll es 750er-Gold sein, meine Güte, wenn ich das gewusst hätte. Jetzt ist dieses Geschenk von Alexandra Motschmann in die Hände der Beamten gefallen. An die Krankenkasse. Gerichtsvollzieher statt Verlobung.


FALSCHE

SICHERHEIT


Die 2.000 Euro aus dem Umschlag werden gezählt. Es sind ziemlich viele 5-Euro-Scheine. Ich zeige auf eine der vielen DW-Zeitungen, die in meiner Wohnung liegen. Natürlich überall. »Sehen Sie, so kommt das hier zustande«, und zeige auf Seite 16: »Abo-Schnipsel.« – »Wir werden das mitnehmen müssen.«, sagt der Beamte. – »Ich protestiere«, sage ich. Das wird vermerkt. Währenddessen findet ein anderer Beamter einen anderen Umschlag mit 24,30 Euro in einer anderen Schublade. Das steckt der Beamte ebenfalls ein. »Für den Einsatz«, sagt er. Das Ganze wird quittiert. Deutsche Beamte sind nicht auf diese Art bestechlich. Die sind anders drauf.


»Warum kommen Sie hier mit so vielen Mann?«, frage ich noch einmal.


»Compact und Anselm Lenz, der ist ja auch nicht ohne. Und überhaupt sind da viele Menschen, die auch psychische Probleme haben.«, so die Antwort. – Aha.


Ein weiterer Beamter kommt in mein Zimmer. Nachdem sie anscheinend den ekligen alten Kühlschrank durchgeschaut hatten, haben sie zwischen den ganzen Briefen wegen Parkvergehen meinen Vertrag für meinen Kleingarten gefunden (Jahrespacht 250,- Euro). Und die alten Papiere für meinen Vorgängerwagen, einen Audi-80 aus dem Jahr 1989, Kilometerstand 270.000 km, Benziner. Letzte Fahrt damit war zur Näncy-Print-Präsentation in Sachsen, da hing der Auspuff schon an Kabelbindern und musste von der Straße genommen werden. Mehrmals werde ich nach diesem Audi gefragt. »Weg.«, sage ich. »Baujahr 1989, der war durch.« Und der nächste kommt rein und fragt. Er hat anscheinend ein anderes Papier zum Uralt-Audi gefunden. »Nein, weg«, sage ich. – Währenddessen kommt ein schnaufender Beamter zurück in meine Wohnung. Der hat den Kilometerstand von meinem Hyundai abgelesen (150.000 km), sich das Nummernschild notiert (sage ich nicht) und den Fahrzeugschein mitgenommen. »TÜV bis 2026«, sagt der Zoll-Beamte, der hier das Gespräch führt, in einem Tonfall, den ich nicht einordnen kann. Irgendwie ist er überrascht. Den Fahrzeugschein legt er beiseite. »Shit, nehmen mir die jetzt diese Karre weg?«, denke ich.


AB IN

DIE IDYLLE


Jetzt kommt die eine Hälfte der Beamten ins Wohnzimmer. Anscheinend sind sie fertig. Die andere Hälfte steht in meinem Flur. Als ich einmal aufstehe, um mir Socken anzuziehen, werden sie gewarnt, dass ich komme, um mir Socken zu holen. »Achtung Socken!«, geht der Ruf. Als ich zurückkehre, werde ich gefragt, wo der Garten sei. – »Um die Ecke«, sage ich. Sie hätten dafür keinen Durchsuchungsbeschluss, ob ich ihnen den Garten trotzdem zeigen würde und so Aufwand erspare. »Kann ich machen«, sage ich, »vielleicht werde ich so die Zucchini los.« – Ein Beamter, der anscheinend auch gärtnert und weiß, was das für eine Pflanze ist, lacht. Überhaupt ist die Stimmung jetzt irgendwie komisch gelöst. Keine Waffen, keine Bedrohung, zehn Männer in einer Junggesellenwohnung. Auf der Fensterbank trocknen Trockenbohnen aus und doch soll hier Terror drohen. Nichts macht hier mehr Sinn. Irgendwie ist auch den Beamten bewusst, dass dieser ganze Einsatz, in diesem Umfang, eine Farce ist. Aber die Sicherheit geht ja vor.


Die Quittung für den beschlagnahmten Verlobungsring, die Uhr und die 2.000 Euro + ein paar Zerquetschte wird mir überreicht. Das Geld aus meinem Portemonnaie, also 50,- Euro, darf ich behalten. »Ist ja Monatsende«, sagt der Beamte mit gönnendem Ton. Danke. Auch den Fahrzeugschein bekomme ich überreicht. Puh, das wäre schwierig geworden.


Wir gehen in den Garten, die Hälfte der Beamten bleibt zurück. Ich zeige den kleinen Gartenschuppen und befürchte, dass von meiner Partnerin Sachen mitgenommen werden (Werkzeug). Auf den Stress habe ich überhaupt keinen Bock. Ein Beamter lobt den Garten: »Idyllisch.« – Nach dem Anblick meiner Wohnung hatte er wohl etwas anderes erwartet. Das Lob nehme ich gerne an, eitel ist man ja, und es steckt viel Arbeit drin. – Sie finden auch hier keine Goldbarren. Am Rasenmäher sind sie auch nicht interessiert. Ein Beamter, der mit der ganzen Zeit über schon zugelächelt hatte, scherzt, dass sie meinen 10.000-Euro »Aufsitzrasenmäher« mitnehmen würden, den ich natürlich nicht habe. Aber sie schauen auch gar nicht mehr danach. Irgendwie ist die Luft raus bei ihnen. Wir gehen zurück zum Haus. Sie haben dahinter geparkt und sind glücklicherweise »nur« mit zwei Autos gekommen, ein grauer getarnter VW-Bus und ein Polizeikleinwagen. Alle sitzen jetzt da rum. Mittagspausenstimmung.


LEBEN

IN DER BRD


Ich will noch die letzte Frage ausräumen, die mir einfällt: »Was haben Sie denn mit ›Ihre Szene‹ gemeint, also der Grund, dass Sie hier mit zehn Mann auflaufen? Unter was laufe ich bei Ihnen? Rechtsextremer, Linksextremer, Reichsbürger, Verschwörungsideologe?« – Ein komisches Schweigen tritt ein. Anscheinend habe ich jetzt die Stimmung versaut. Spürbar macht die Frage die Runde: Was dürfen wir jetzt sagen?


»Ich habe nur einmal gegoogelt«, sagt der Beamte, der mit mir gesprochen hatte, und der von »Szene« gesprochen hatte und damit, der Stimmung zufolge zu viel gesagt hatte. (Er war auch nicht der Chef bei der Aktion, sondern der Herr, der schnaufend meinen Hyundai untersucht hatte. Das wird Ärger geben, Schnatterbacke!) »Sie geben doch Compact heraus?«, sagt er weiter. – »Ich gebe nicht Compact heraus«, widerspreche ich. »Ich bin Herausgeber der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand und nachdem Nancy Faeser letztes Jahr Compact verboten hat, haben wir die Inhalte der verbotenen Ausgabe veröffentlicht. Das Vorgehen von Faeser war verfassungswidrig.« – »Na, sehen Sie, soviel bleibt von einer Google-Suche hängen«, meint er, als ob damit alles gesagt wäre. Aufbruchsstimmung. Die Beamten waren von einem Riesenaufriss ausgegangen und bedanken sich sogar bei mir, dass es so ruhig ablief. Hätte ich den Aufriss machen sollen? – Nicht wegen dieser scheiß Krankenkassensache, denke ich.


Da stehen wir nun im Hinterhof. Rund zehn Männer in Uniformen. Hinter uns, anderthalb Meter weiter, jätet meine alte Nachbarin aus dem Erdgeschoss den kleinen Vorgarten, den sie unter ihren Fenstern angelegt hat (sehr hübsch). – »Ich habe meine Krankenkassenrechnung nicht bezahlt«, sage ich zu ihr. »Bitte entschuldigen Sie die Unruhe, die hier heute entstanden ist.« – »Darum sind jetzt hier so viele Leute da?«, meint sie und zu meiner Entschuldigung: »Keine Sorge, mich hat das ja jetzt nicht beeinträchtigt.« – Das beruhigt mich. So eine Aussage, in diesem ehrlichen Tonfall wäre so nie in einer westdeutschen Stadt gefallen. Nicht von einer alten Dame. Niemals. Da wäre ich jetzt gebrandmarkt. Hier wird der Kopf geschüttelt über das Vorgehen der Staatsmacht. Das ist auf jeden Fall mein Eindruck, mal schauen, was noch kommt


Ich gehe ins Haus und lasse die Hausdurchsuchung hinter mir: Weil ich die Krankenkasse nicht bezahlt habe. Weil ich mit einer 60-Stunden-Woche als Selbstständiger nicht fast genauso wenig Geld wie mit Hartz-IV haben wollte. Und das nicht, weil Bürgergeld zu hoch ist (dann hätte ich gezahlt): Mit Hartz-IV beziehungsweise mit Bürgergeld muss man jede einzelne Käsescheibe umdrehen. Das geht nicht, wenn man arbeitet – und sonst auch nicht. Und da hatte ich einfach keine Lust drauf. Ich meine: Verständlicherweise, aber trotzdem nicht der schlauste Move von mir, klar. Irgendwann kommt immer der Geldeintreiber.


Dass die aber mit zehn Mann kamen, um mich zu befragen, das ist absurd. Und, dass ich hier unter komischen Rastern bei der Staatsmacht laufe. Ehrlich gesagt: Ich glaube die Story von der Google-Suche nicht. Denn warum wurde dann von »Anselm Lenz, der auch nicht ohne« sei gesprochen? – Was ist das überhaupt für ein Schwachsinn?


Und selbst wenn die Compact-Google-Suche stimmen sollte: Nancy Faeser hat mit ihrem Compact-Verbotsverfahren die Verfassung gebrochen. Anselm Lenz und ich sind unter vollem Risiko für die Presse- und Meinungsfreiheit eingesprungen. Hätten wir da nicht eigentlich einen fetten Preis der Journalismus-Branche verdient? (Gerne so hoch dotiert, dass ich der Krankenkasse alles in den Rachen werfen kann.)


Ich meine: Nancy Faeser hat unter Beweis gestellt, dass sie brutal und mit Gewalt vorgeht, nicht ich. Etwas Brutaleres als Hundert Mann mit Maschinengewehren samt jubelnden Propagandakameras loszuschicken, um bewusst die Verfassung zu brechen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Und das tat unsere Regierung. Das tat Faeser. Das tat unser derzeitiger Verfassungsschutzpräsident. Das wird die ganze Zeit bei Oppositionellen gemacht. Da ist die »psychisch kranke Szene«. Nicht in meiner Wohnung. Die ich jetzt mal aufräume.


Wir sind keine Szene. Wir sind das Volk. 


Dieser Text erschien am 30. September 2025 als Online-Artikel des Demokratischen Widerstandes, also am Tag der Gerichtsvollzieher-Hausdurchsuchung bei DW-Herausgeber Hendrik Sodenkamp. Der Text entstand noch unter dem Eindruck der Durchsuchung und wird hier als Zeitdokument und auch als Gedächtnisprotokoll veröffentlicht. »Manchmal muss man die Dinge einfach aufschreiben«, sagt Sodenkamp. »Keine Ahnung, ob das jetzt clever ist. Dieser Tag muss raus.« – Wenn Sie unabhängigen Journalismus unterstützen möchten, dann können Sie das mit einer Spende tun. Damit unterstützen Sie garantiert nicht die weltweite Pharmaindustrie. – Vielen Dank.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 230 am 26. Sep. 2025




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