Wir sprechen mit dem »verbotensten« Oberbürgermeisterkandidaten in der BRD. Der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen hatte ihm unter anderem vorgeworfen, sich für die literarische Sagenwelt des britischen Autors J.R.R. Tolkien, »Herr der Ringe«, zu interessieren.
DW: Herr Paul, Sie wurden am 5. August 2025 als AfD-Landtagsabgeordneter von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), die am 21. September stattfindet, wegen vermeintlicher Zweifel an Ihrer Verfassungstreue ausgeschlossen. Der Wahlausschuss der Stadt, dem die amtierende Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos, bis 2023 in der SPD; red.) vorsitzt, hatte Ihnen die Kandidatur verweigert. Sie waren vor Ort anwesend. Wie war Ihre erste Reaktion?
Joachim Paul: Uns waren natürlich die Wahlausschlüsse anderer Bürgermeisterkandidaten, etwa in Lage in Nordrhein-Westfalen, bekannt. Wir hätten aber nie geglaubt, dass sie es in Ludwigshafen wagen würden, den aussichtsreichen Kandidaten der stärksten Partei auf diese Weise auszuschalten. Als wir die Entscheidungen vernommen haben, waren wir natürlich geschockt.
DW: Der Entscheidung des Ausschusses war ein von der Stadt angefordertes Schreiben aus dem Innenministerium vorausgegangen. Darin sind mehrere Vorwürfe enthalten, die sich aus einem Verfassungsschutz-Gutachten speisen. Darin geht es beispielsweise um eine positive Rezension über Der Herr der Ringe (Seite 14 dieser »Den Menschen wird der Glaubean die Demokratie geraubt!«Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul im DW-Gespräch über die Folgen seines Ausschlusses bei der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen – und wie er sich dagegen wehrt. Interview von Klaus MüllerDW-Ausgabe; red.). Den Artikel hatten Sie 2022 für das österreichische -Freilich-Magazin verfasst, und dabei, so heißt es, Parallelen zur Konservativen Revolution gezogen haben.
J.P.: Die Vorwürfe sind nicht mehr nur abstrus, sondern wirklich verrückt. Wenn ich einen Text über die Konservative Revolution verfassen möchte, dann mache ich das, muss dafür dann aber keinen Umweg über Der Herr der Ringe suchen.
»Ein Vorgang, den man bislang nur aus Diktaturen kannte«
DW: Auch ein migrationskritischer Artikel von Ihnen in demselben Magazin wird aufgelistet. Darin schrieben Sie: »Die Gewalt in Berlin und anderswo hat ein Gesicht. Sie ist jung, sie ist männlich, sie ist orientalisch.«
J.P.: Mit der Aussage habe ich nur das widergespiegelt, was damals nach den Silvester-Ausschreitungen in Berlin und anderen Großstädten auch im Mainstream zu lesen war. In der Hauptstadt etwa hatte ein aus dem Orient angereister Mann einen Böller durch das offene Fenster eines Kinderzimmers geworfen. Meine Aussagen sind wahr und wahrhaftig. Sie als Grund zu nehmen, um mich auszuschließen, ist ein Vorgang, den man bislang nur aus Diktaturen kannte.
DW: Der Verfassungsschutz wirft Ihnen auch einen Vortrag vor mit dem Titel »Schicksalsfrage Einwanderung – warum Remigration nötig und machbar ist«, den Sie am 18. November 2023 hielten und bei dem Sie die Probleme der Massenmigration erörterten und anschließend mit den Teilnehmern über mögliche Handlungsperspektiven diskutierten.
J.P.: Den Vortrag habe ich bei der studentischen Burschenschaft Ghibellinia in Hannover gehalten. Wie sich zeigte, ist die amtierende Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen nicht in der Lage, diesen Namen fehlerfrei auszusprechen (die Ghibellinen waren eine politische Partei im mittelalterlichen Italien, die die Partei des Kaisers unterstützte, im Gegensatz zu den Guelfen, die die Partei des Papstes unterstützten; red.). Mehr muss man über dieses SPD-Personal nicht wissen. Mir dagegen wirft man vor, belesen zu sein und schreiben zu können. Was den Vortrag betrifft: Ich stelle meine Thesen grundsätzlich zur Diskussion, weil ich nicht erwarte, dass mir alle wie in einem Gottesdienst andächtig lauschen und mir hinterher applaudieren. Ich freue mich immer über anschließende kontroverse Diskussionen, wie es auch damals der Fall war, als es um die Frage ging: Woran macht man fest, ob jemand gut oder weniger gut integriert ist? Der Diskurs ist die Grundlage demokratischen Handelns. Dass man mir das vorwirft, ist wirklich irre.
DW: Und es geht um Kontaktschuld, weil etwa der neurechte Buchautor Martin Sellner mal im »Quartier Kirschstein« aufgetreten sei, in dem sich auch Ihr Wahlkreisbüro befindet. Zudem hätten Sie keine Berührungsängste mit dem Compact-Magazin ...
J.P.: Um diesen Kontaktschuldvorwurf zu entgehen, soll ich offenkundig in Zukunft Genosse Elmar May, dem Leiter des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz, meine Reise- und Kontaktpläne sowie Gesprächsthemen offenbaren, so dass dieser dann im Vorfeld entscheiden kann, wen ich treffen darf und wen nicht.
»Die Menschen wollen keine Bevormundung«
DW: Norbert Bolz, emeritierter Professor für Medienwissenschaft, schrieb am 11. August in einem Meinungsbeitrag in der Welt: »Man konstruiert einfach einen Ausnahmezustand, der es dann erlaubt, die Demokratie außer Kraft zu setzen, um die Demokratie zu schützen. Die derart gegen die Opposition geschützte Demokratie nennt sich auch gerne ›unsere Demokratie‹. Wir haben es hier mit der für die Zukunft entscheidenden Herrschaftstechnik der Linksgrünen zu tun: Da sie wissen, dass sie keine parlamentarische Mehrheit mehr erreichen werden, setzen sie nicht mehr auf Wahlen, sondern besetzen und verteidigen Schlüsselstellen. Das erklärt die Hitze des Gefechts um die Besetzung der vakanten Verfassungsrichterstellen.«
J.P.: Dem stimme ich in vollem Umfang zu. Bolz ist ein klassisch Liberaler, den ich sehr schätze. Ich war in der Vergangenheit auch schon Mitglied eines Wahlausschusses, aber ich habe mir nie angemaßt, mit Nein zu stimmen, sofern die Vorschläge vom Wahlleiter zur Annahme empfohlen wurden, weil sie formal korrekt waren. Die Entscheidung, die der Wahlausschuss trifft, darf nicht politischer Natur sein, schließlich kann man sich nicht anmaßen, dem Souverän, also den Bürgern, Wahlvorschläge vorzuenthalten. Doch genau das geschieht gerade bei uns in Ludwigshafen.
DW: Sogar der Ex-Grüne Boris Palmer, seit 2007 Oberbürgermeister von Tübingen in Baden-Württemberg, stellt die Rechtmäßigkeit Ihres Ausschlusses infrage, wie er am 11. August gegenüber unseren Kollegen vom Nordkurier erklärte. Die Entscheidung dürfte einer juristischen Überprüfung kaum standhalten und würde dann das Argument bestätigen, dass die Systemparteien das Recht beugten, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Liegt darin möglicherweise auch ein positiver Aspekt, eben dass durch derartige Machenschaften immer mehr Menschen endlich auffällt, was in unserem Land geschieht?
J.P.: Ja, klar. Viele sind in großer Sorge um unser Land. Wenn man vor der Wahl mit fadenscheinigen Gründen den aussichtsreichsten Kandidaten ausschaltet, verlieren die Menschen die Hoffnung, mit ihrem Wahlverhalten für eine Veränderung sorgen zu können. Ihnen wird der Glaube an die Demokratie geraubt. Denn die Demokratie muss den Wählern immer die Chance bieten, verbrauchtes oder inkompetentes Personal abwählen und durch neues ersetzen zu können. Diese Möglichkeit wird den Bürgern nun in Ludwigshafen auf offener Bühne gestohlen.
DW: Ein weiterer positiver Aspekt für Sie: Bis zu diesem Vorfall dürften Sie außerhalb Ihres Bundeslandes nur den wenigsten Menschen bekannt gewesen sein. Das hat sich nun geändert, schlägt der Fall doch bundesweit hohe Wellen. Aber wahrscheinlich hätten Sie auf die diese Popularität lieber verzichtet, oder?
J.P.: Ich bin überzeugter Kommunalpolitiker. Mir geht es nicht um mich, sondern um Ludwigshafen. In den vergangenen Tagen haben sich etliche Leute bei mir gemeldet. Viele sagten oder schrieben mir, dass sie normalerweise niemals die AfD wählen würden, weil sie mit der Partei fremdeln, aber sie sind wütend, weil sie es als eine Unverschämtheit empfinden, dass man ihnen diese Wahlmöglichkeit nimmt. Sie wollen keine Bevormundung oder Vorsortierung.
DW: Sie wehren sich und haben beim Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße einen Eilantrag gegen Ihren Ausschluss gestellt. Nun wird zunächst der Wahlausschuss von Ludwigshafen Stellung nehmen müssen.
J.P.: Es ist absurd, dass ein von Parteisoldaten der Konkurrenz besetztes Gremium über meine Wahlzulassung entscheiden kann. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass diese Entscheidung vom Gericht rückgängig gemacht wird. Das passive Wahlrecht ist ein extrem hohes Gut. Und was man gegen mich ins Feld führt, ist nicht nur dünn und lächerlich, es ist sogar würdelos. Andererseits: Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile negative Überraschungen gewohnt. Und es geht um viel: Wir haben im März Landtagswahlen. Fällt das Oberbürgermeisteramt zuvor von der ehemaligen Arbeiterpartei SPD in die Hände eines AfD-Oberbürgermeisters, würde dies die Wahlchancen der SPD bei den Landtagswahlen reduzieren. Auch deshalb kämpft die Partei nun so verzweifelt und skrupellos gegen den drohenden Machtverlust.
»Als hätte man mir eine Hand auf den Rücken gebunden«
DW: Die Wahl des Oberbürgermeisters findet am 21. September statt. Amtsinhaberin Jutta Steinruck tritt nicht mehr an. Als gemeinsamer Kandidat von CDU und FWG (Freie Wählergemeinschaft) geht Klaus Blettner an den Start, für die SPD tritt Jens Peter Gotter und als parteiloser Kandidat Martin Wegner an. Ihre Kandidatur als Oberbürgermeister wäre aussichtsreich. Bei der Bundestagswahl landete die AfD in Rheinland-Pfalz mit 23,4 Prozent der Zweitstimmen hinter der CDU auf Platz zwei und war in Ludwigshafen sogar die stärkste Kraft. Wie schätzen Sie selbst Ihre Chancen ein?
J.P.: Ich denke, wir haben gute Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Dann wäre alles offen. Wir erleben durch die mediale Aufmerksamkeit zwar eine Mobilisierung unseres Wählermilieus, aber schon jetzt muss man feststellen, dass der Wahlkampf unter zwielichtigen Voraussetzungen stattfindet, denn mein derzeitiger Ausschluss stellt einen erheblichen Nachteil dar, da uns viel Zeit gestohlen wird. Wir dürfen zwar ungeachtet der Situation plakatieren und Flyer verteilen, aber anstatt mich als Spitzenkandidat voll und ganz dem Wahlkampf zu widmen, sitze ich ständig mit meinen Anwälten zusammen. Es ist fast so, als hätte man mir eine Hand auf den Rücken gebunden. Und die Zeit bis zum Wahltermin ist sehr kurz. Sollte das Verwaltungsgericht zu meinen Gunsten entscheiden, stehen wir vor einer sportlichen Herausforderung.
DW: Ludwigshafen hat Probleme und leidet wie viele andere Städte unter Deindustrialisierung und Massenmigration. Es gäbe viel für Sie zu tun, sollten Sie Oberbürgermeister werden.
J.P.: Ludwigshafen hat sehr viele liebenswerte und schöne Ecken, gleichwohl muss man feststellen: Die Stadt steckt aufgrund der Altparteienpolitik in einer tiefen Krise. Über viele Jahre hinweg wurde sie unterfinanziert. Sie hat ein Sauberkeitsproblem und ja, sie leidet unter der Massenzuwanderung. Die amtierende Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck war nicht in der Lage, Berlin und Mainz zu signalisieren, dass es mit der Zuwanderung so nicht weitergehen kann. Andere Städte dagegen haben klar geäußert, dass sie keine weiteren Migranten aufnehmen werden und sind damit auch durchgekommen. Doch Steinruck hatte nicht den Mumm dazu. Die Altparteienpolitik funktioniert eben leider so, dass die Amtsinhaber zwar immer ein wenig jammern können, aber nicht genug Beinfreiheit für entscheidende Veränderungen haben. Sie werden von der Landespartei aufgestellt, was dazu führt, dass SPD-Stadtspitzen und Landräte in erster Linie SPD-Politiker sind und erst in zweiter Linie für ihre Städte kämpfen. Ihnen wird gesagt: Passt mal auf, wenn ihr weiter rummäkelt an der Politik auf Landes- und Bundesebene, dann entziehen wir euch die Unterstützung und stellen euch künftig nicht mehr auf.
DW: Bei der AfD läuft das anders?
J.P.: Richtig. In unserer Partei ist es gerne gesehen, wenn man aneckt. Dem Filz innerhalb einer Partei kann ich nichts Positives abgewinnen. Und Abhängigkeiten haben keine Bedeutung für mich. Deshalb kann ich mit einer ganz anderen Beinfreiheit agieren. Ich würde Klartext reden und notwendige Maßnahmen einleiten, die Ludwigshafen aus der Krise helfen. Das heißt vor allem: Schluss mit der Massenzuwanderung und volle Konzentration auf die wirtschaftlichen Herausforderungen. Deutschland war mal das Industrieland schlechthin in Europa, ist nun aber Schlusslicht. Und wie es aussieht, haben die Altparteien nicht vor, an diesem Zustand etwas ändern zu wollen.
DW: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in unserem Land werden von immer mehr Menschen ernsthaft infrage gestellt. Wie ist es aus Ihrer Sicht: Leben wir noch in einem Rechtsstaat?
J.P.: Man darf es nicht unter den Tisch fallen lassen: Ich habe die Möglichkeit, meinen Ausschluss von der Wahl juristisch überprüfen zu lassen, was ich ja auch mache. Man darf also das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ich würde sagen: Wir warten jetzt erstmal ab. Ich bin und bleibe zuversichtlich, dass ich bei der Wahl am 21 September am Start bin.
DW: Herr Paul, wir danken Ihnen für das Gespräch. (Die Fragen stellte Klaus Müller) | Anmerkung: Bis Redaktionsschluss hatte das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße nicht über den Eilantrag von Joachim Paul entschieden. Dieser kündigte dem DW gegenüber bereits an, im Falle einer Niederlage vor das Oberverwaltungsgericht ziehen zu wollen. Erst wenn dort gegen ihn entschieden würde, wäre keine Revision mehr möglich.