Es ist der letzte Verhandlungstag in Stuttgart. Am Dienstag, den 22. Juli 2025, wurden im Verfahren gegen Michael Ballweg im Landgericht Stuttgart die letzten Beweismittel eingebracht und die Schlussplädoyers gehalten. Am Donnerstag, den 31. Juli 2025 wird ab 10 Uhr das Urteil verkündet. Man kann getrost mit einem Freispruch rechnen.
Das Gericht grüßt auch am 43. Verfahrenstag, am 22. Juli gegen den Unternehmer und erfolgreichen Demoorganisator Michael Ballweg mit Einlasskontrollen und Leibesvisitationen. Die rund 20 Prozessbeobachter aus der Friedens- und Demokratiebewegung, die dem Verfahren von seinem Beginn am 2. Oktober 2024 bewohnen, sind es augenscheinlich gewohnt. Und auch die Wächter der Justiz kennen mittlerweile offensichtlich die Besucher.
Hier und da wird ein Gruß ausgetauscht, bald ein entschuldigendes Wort von einem Beamten gesagt: »Naja, wir haben hier auch ganz andere Kaliber im Haus«, sagt einer an der zweiten Sicherheitsschleuse direkt vor dem Gerichtssaal, wo sämtliche Gegenstände abgegeben werden müssen. Augenscheinlich hat man hier in Stuttgart wenigstens ein Gespür dafür, dass es überzogen ist, was hier mit den Demokraten gemacht wird. Ein anderer Wind als in Berliner Gerichten.
ABSURDE
MASSNAHMEN
Dennoch geht es erst nach einer zweiten Leibesvisitation in den Gerichtssaal. Michael Ballweg kommt mit seinem Anwaltsteam: mit Querdenker-Anwalt Ralf Ludwig, Dr. Reinhard Löffler, CDU-Landtagsabgeordneter im Landtag Baden-Württemberg, dem Berliner Anwalt Gregor Samimi und dem Anwalt Hans Böhme, der Ballwegs Firma, die Media Access GmbH vertritt. Es ist voll im Saal. Neben den demokratischen Prozessbeobachtern sind ein paar Journalisten da und eine Schulklasse von Sechzehn- bis Achtzehnjährigen. Ein Schüler habe diesen Termin als Ziel des Klassenausfluges vorgeschlagen, so der Lehrer, und alle seien begeistert gewesen. Michael Ballweg ist anscheinend überaus bekannt und von großem Interesse.
Auf der Staatsanwaltschaftsbank nehmen die Vertreter der Staatsmacht Platz. Beide ziemlich jung. Sie, Franziska Gräfe, der Typ smarte Karrierefrau. Er, Niklas Eisele, sportlich, aber mit Topfschnitt. Auf dem Flur sitzend hatte ich sie wegen seines Auftretens mit weißem Hemd, der weißen Krawatte und eben diesem Topfschnitt noch für Teilnehmer eines Sektenprozesses gehalten. Dieser Topfschnitt beschäftigt mich tatsächlich eine ganze Zeit lang, bis die Richterin mit Schöffen den Gerichtssaal betritt, die demokratischen Prozessbeobachter sich routiniert erheben, und dann von der Richterin gebeten werden, wieder Platz zu nehmen.
»Die Sprache der Haare«(P. P. Pasolini) sagt auch: »Ich scheiße auf eure Regeln des Geschmacks. Ich stehe darüber.« – So die Haare der Macht. Es geht dadaistisch los. Über 15 Minuten lang liest die Richterin Excel-Tabellen mit Zahlenkolonnen vor. »D E dreifünfzweisieben dreifündneunzweisieben fünfdreifünfsiebenachtfünf…«. Es sind Spalten, Zeilen, Zahlen. Unendlich viele Zahlen, die aus der Kommunikation von Michael Ballweg mit seinem Steuerberater stammen. Belege, die er für Querdenken-711 noch nachreichen muss, um eine ordentliche Steuererklärung machen zu können.
»Siebenkommadreisieben, zweiachtkommadreineun, fünfneundreikommazweifünf …« Ein Dokument also, das belegt, dass Michael Ballweg seine Steuererklärung machen wollte, so Ballwegs Anwalt Ralf Ludwig. Und weiter: »Diese Lesung hätte uns erspart werden können, wenn Michael Ballweg nicht verhaftet worden wäre.« Denn am Tag seiner Verhaftung war ein Termin mit seinem Steuerberater für die Steuererklärung für Querdenken angesetzt gewesen.
»D E siebenfünfneundreisiebenachtnullnullnullfünf nulldreisechsnullfünfnullkommadreisieben« Später wird die Staatsanwaltschaft erneut behaupten, Ballweg hätte keine Steuererklärung machen, sondern sich nach Costa Rica absetzen wollen. Die Richterin liest außerdem noch eine lange Liste mit Spenden vor, die Ballweg zurückerstattet hatte, da diese mit einem Verwendungszweck versehen waren, den er nicht hätte einhalten können: »Weiterleitung an Unicef«, »Spendenbescheinigung oder Rücküberweisung« und ähnliches.
STAATSMACHT SETZT
AUF YOUTUBE-SCHNIPSEL
Dann: Der »schlagende« und finale Beweis der Staatsanwaltschaft. Ein Youtube-Clip. Michael Ballweg im Gespräch mit Ignaz Baerth, in dem er sagt, er wolle möglichst wenig Steuern zahlen und würde dafür auch vor Gericht gehen. Also: Dokumente auf der einen Seite. Youtube-Schnipsel auf der anderen. Das wird sich auch in den Plädoyers durchziehen, die nach einer kurzen Pause starten.
Die Staatsanwaltschaft beginnt mit einem 30-minütigen Vortrag, der sich weniger nach Schlussplädoyer anhört, denn als ein Skript für eine aktuelle True-Crime-Serie auf Netflix. Irgendwo in der Nähe von Tiger King. Nach der Spendensammlung für den abgebrannten LKW in Stuttgart habe man gemerkt, dass hier viel Geld zu holen sei – eine Story, die von Martin LeJeune bei T-Online in die Weltgesetzt worden war, und die hier in eine Anklageschrift Eingang fand. Ballweg habe Gelder in Krypto-Währungen »verschoben«, in »Hoch-Risiko-Anlagen« und dort »verzockt« (O-Ton).
Da wird von Kosten für die Kürzung einer Wanderhose gesprochen, die Ballweg»für sich persönlich« habe machen lassen. Das schien der Staatsanwaltschaft erwähnenswert, um dann drei Jahre Haft zu fordern. Ballweg sei bei seiner Verhaftung auf dem Sprung nach Costa Rica gewesen, um sich dorthin abzusetzen, und um niemals seine Steuern zu zahlen. Belege werden keine genannt. Es ist Storytelling. Richtig war: Ballweg hatte für die Zeit nach seinem Hausverkauf eine Reise innerhalb Deutschlands geplant, bei Freunden und Mitstreitern aus der Demokratie- und Friedensbewegung.
Am 9. Mai 2025 wollte er zu DW-Herausgeber Anselm Lenz nach Stettin kommen. Nichts also mit »Costa Rica«, Südsee, Malle-Connection und Steuerparadies. Im Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft ist für die Justiz der BRD neu: Ballwegs Anwälte werden direkt angegriffen. Und die Richter.Ralf Ludwig sei als Querdenken-Anwalt selber irgendwie verstrickt, Ballwegs CDU Anwalt Dr. Löffler habe sich »einspannen« und instrumentalisierenlassen, wo er doch ein Organ der Rechtspflege sein solle. Und ja, selbst die Richterin und ihre zwei Kollegen, die gesamte Kammer wird von der Staatsanwaltschaft angegriffen.
Beim Plädoyer guckt die Staatsanwaltschaft immer wieder ins Publikum. Nicht hinter der Richterbank sitzen ihre Adressaten, sondern im Zuschauerraum. Da sind wohl nicht die Demokraten gemeint, die hier den Prozess beobachten und unter denen die Köpfe bei diesem Text wiederholt und deutlich geschüttelt werden. Also die Demokraten, die Ballweg Geld gespendet hatten – und deren Interessen die Staatsanwaltschaft mit dem Vorwurf des Betrugs zu schützen vorgibt. Nein, es sind wohl die Medienvertreter gemeint, die heute einmal in den Prozess gekommen sind und die von der Beweisführung wenig bis nichts mitbekommen haben.
»KEIN
POLITISCHES VERFAHREN«?
Das ist auch deshalb wichtig, weil die Staatsanwaltschaft in diesem performativen Widerspruch behauptet, dass Ballweg und seine Anwältehätten eine Polit-Show machen wollen, sie jedoch Ballweg als »ganz normalen Angeklagten« behandelt hätten. Es scheint, als habe die Staatsanwaltschaft diese Verhandlungsrunde bereits aufgegeben, so Ballwegs Anwälte später. Und auch ich habe den Eindruck, hier einer Presseerklärung beizuwohnen, die vorbereiten soll, dass man in die nächste Runde gehen werde. Unter anderem bei der dpa und in der Stuttgarter Zeitung findet man im Nachgang Versatzstücke aus diesem Vortrag wieder.
Drei Jahre Haft fordern sie am Schluss. – Und das von einer Staatsanwaltschaft, die noch vor wenigen Wochen nach den Bedingungen für die Einstellung des Verfahrens gefragt hatte. Zwei Jahre für Betrug und dann noch für die Steuerhinterziehung: ein Jahr hier, ein halbes Jahr dort und dort und dort und dort. Aber im gönnerhaften Gestus im Sinne »man sei ja kein Unmensch«, kommt die Staatsanwaltschaft finalauf drei Jahre. Und Ballweg solle noch Hundertausende Euros zahlen. Ballweg sitzt während dieses Vortrages mit geschlossenen Augen, zurückgelehnt auf seinem Stuhl, den Kopf so weit nach hinten gestreckt, wie es nur geht, um Abstand zu diesen Worten zu gewinnen. Er scheint meditieren zu wollen. Ich kann nicht abschätzen, ob ihm das bei dem Vortrag, der ihn in den düstersten Farben zeichnete, zur Gänze gelang. – Es geht in die Pause. Die Schulklasse meint, jetzt habe sie ja genug gehört. Im Rausgang sagt eine Schülerin murmelnd: »Also intelligent ist er ja«. Die Strategie Mistschleuder hat also anscheinend funktioniert. True-Crime funktioniertja auch auf Netflix.
LÜCKENHAFTE
DOKUMENTATION
Ich werde von den demokratischen Prozessbeobachtern in Empfang genommen. Deren Einschätzung: Man habe jetzt seit Oktober 2024 diesen Prozess jeden einzelnen Verhandlungstag beobachtet. Ganze 43 Sitzungen. Und die Staatsanwaltschaft habe niemals Beweise vorgelegt für ihre Behauptungen. Nach und nach hätten die Anwälte Ballwegs die Anklagepunkte widerlegt. Die Beobachter hatten selber Geld gespendet. Man sei auch offen für Argumente und Beweise der Staatsanwaltschaft gewesen. Aber da seien eben keine gekommen. Es sei kein politischer Prozess gewesen, hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussplädoyer gesagt, und sie hatten gelacht. Die Staatsanwaltschaft habe in ihrer Rede so getan, als ob es das gesamte Verfahren, die 42 vorangegangenen Prozesstage überhaupt nicht gegeben habe, so die Beobachter. Man habe nun zum zweiten Mal die Anklageschrift gehört. Und: Das sei für die Mainstream-Presse gewesen. Die sei nur beim Prozessbeginn, bei der Ankündigung des Gerichts im März 2025 das Verfahren einstellen zu wollen, und heute da gewesen.
Nach der Pause geht es mit den Abschlussplädoyers von Ballwegs Seite weiter. Vor mir schreibt ein Journalist, wohl von der dpa, bereits an seinem Text. Die Überschrift auf seinem Bildschirm: »Blamiert sich die Staatsanwaltschaft im Ballweg-Verfahren?« – Die Überschrift wird später nicht mehr aufzufinden sein.
Ballwegs Anwalt Dr. Löffler beginnt und betont den Einsatz von Ballweg für die Demokratie und den Rechtsstaat in Deutschland. Zum Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft: »Im Vergleich zu ihren Mutmaßungen, Unterstellungen und Annahmen sind Grimms Märchen eine Enzyklopädie der Wissenschaft.« Gregor Samimi bedankt sich bei der Richterin, dass sie hier ein faires Verfahren möglich gemacht habe. Die Forderung: Freispruch, Entschädigung, das volle Programm. Dem schließt sich auch Ralf Ludwig an, der noch einmal betont: Sie, also Ballweg und seine Anwälte, hätten hier kein politisches Verfahren betrieben, mit großen Stellungnahmen, Reden an die Menschheit usw., sondern sich stattdessen an Beweise, Dokumente und das juristische Handwerkzeuggehalten. Wichtig sei ihm auch in Hinsicht auf eine Haftentschädigung Ballwegs (zur Erinnerung: Neun Monate Stammheim), dass dieser beim Haftrichter über sechs Stunden an die Gerichtsmöbel gefesselt worden sei.
Hans Böhme, der Ballwegs Firma Media Access GmbH vertritt, deren Mittel seit Ballwegs Verhaftung im Jahr 2022 eingefroren sind, betont: Freispruch zum Vorwurf des Betrugs und endlich: Freigabe der Konten. Michael Ballweg hat das letzte Wort und das richtet er an die Richterin: »Es sind die Außenseiter, die die Welt verändern, und die einen echten und bleibenden Unterschied machen.«
RICHTER
UNTER DRUCK
Die Richterin und ihre zwei Kollegen setzt denVerhandlungstermin am 24. Juli 2025 aus. Urteilsverkündung sei am 31. Juli 2025. Ballwegs Worte werden auch persönlich an sie gerichtet sein. Aus der Verhandlung wurde klar: Hinter der Staatsanwaltschaft und dem Finanzamt steht auch die Landesregierung von Baden-Württemberg, also Winfried Kretschmann von den Grünen, der sich mit dem harten Coronaregime schuldig gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer gestellt, nachdem diese im März 2025 die Einstellung des Verfahrens anregte – und die Staatsanwälte waren damit gescheitert.
Die Staatsanwälte hatten ebenfalls angekündigt, man werde in Revision gehen. Also bevor überhaupt ein Urteil feststeht. Für Ballweg bedeutete dies, dass dieses unsägliche Verfahren in die nächste Runde geht und er weiterhin von der Staatsmacht in juristischer Zwangsarbeit gehalten wird. Das bedeutet auch: Weitere Gerichts- und Anwaltskosten. Offensichtlich will man Ballweg fertigmachen. Dennoch: Vor diesem Gericht kann man nach diesem Verfahren mit einem Freispruch rechnen. Am 31. Juli 2025 geht es um 10 Uhr los. (Weiteres und »letztes Wort Ballweg« in DW222; Abonnement dieser Zeitung via DemokratischerWiderstand.de/ABO)