DW: In ihrem Gerichtsverfahren war vor kurzem Bergfest, mittlerweile sind Sie bei Prozesstag 39 von 70 angekommen. Wie ist Ihr Eindruck von dem Verfahren?
Michael Ballweg: Im März hat das Gericht vorgeschlagen, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen, weil der Anklagepunkt des versuchten Betrugs aus der Sicht der Richter in sich zusammengefallen war und weil sich die Steuervorwürfe mittlerweile um eine Summe von 0,60 Cent bis 2.118 Euro drehen.
DW: Wenn ich das einwerfen darf: Selbst die Stuttgarter Zeitung titelte hierzu mit der Schlagzeile: Neun Monate U-Haft wegen Kleinigkeit.
M.B.: Die Staatsanwaltschaft hat sich auf diesen Vorschlag nicht eingelassen, sondern einen Befangenheitsantrag gegen die Richter gestellt. Das Gericht macht nun in mühevoller Kleinarbeit die Arbeit, die die Staatsanwaltschaft nicht gemacht hat. Deshalb dauert der Prozess auch so lange. Ein Zeuge nach dem anderen wird vorgeladen, darunter auch welche, die zu dem Verfahren nichts zu sagen haben. Ich habe den Eindruck, dass das Gericht das auch deshalb so gründlich macht, damit keine politischen Vorwürfe gemacht werden. Jeder einzelne Kieselstein wird umgedreht. – Das Gericht macht also gründliche Arbeit, auch wenn ich natürlich mit den Rahmenbedingungen, wie es stattfindet, nicht einverstanden bin.
DW: Was meinen Sie damit?
M.B.: Bei den Verhandlungen gibt es für die Prozessbeobachter zwei Sicherheitsschleusen, alle müssen sich durchsuchen lassen, müssen nach wie vor ihre Personalausweise vorlegen. Ich habe mit meinen Anwälten versucht, gerichtlich dagegen vorzugehen, sind aber gescheitert.
DW: Wie lagen soll dieser Prozess denn noch gehen?
M.B.: Im Moment sind wir bei Verhandlungstag 39. Am 2. Oktober 2025 endet laut Plan die Beweisaufnahme. Das heißt, es kommen dann hinterher noch die neuen Zeugen der Staatsanwaltschaft und eventuell der Verteidigung. Dann gibt es noch die Plädoyers. Es also kann gut sein, dass sich das bis Anfang 2026 noch hinzieht. Und: Mein Vermögen ist immer noch komplett beschlagnahmt. Wahlweise vom Finanzamt oder eben von Gericht. Das, was das Gericht freigegeben hat, wurde gleich wieder vom Finanzamt eingefroren. Als Steuervorauszahlung für das angeblich geniale »Geschäftsmodell Demonstrationsorganisation« – Ironie off.
DW: Wenn ich mir den Terminplan des Gerichts angucke, sieht es derzeit so aus, dass sie beim Staat in Vollzeit als Angeklagter angestellt wurden.
M.B.: Es frisst unheimlich viele meiner zeitlichen Ressourcen. Zweimal pro Woche vor Gericht zu sein, das heißt effektiv montags anreisen, Vorbereitung, dienstags Verhandlungstag, dann die Nachbereitung, Mittwoch wieder Vorbereitung, Donnerstag wieder Verhandlungstag, dann die Nachbereitung. Es ist eine schon sehr anstrengende Zeit, auch weil ich normalerweise viel in der Natur bin, und der Gerichtssaal steht da natürlich nicht. An den Wochenenden komme ich zu meinen beiden Projekten: Debattenraum auf der Straße, bekannt unter Querdenken, und der digitale Debattenraum, mit dem Projekt Digitaler Aktivist.
DW: Im März kündigten Sie über Ihren Telegram-Kanal an, dass man sich den 2. August 2025 für die jährliche Jubiläumsdemonstration in Berlin freihalten solle. Was ist hier geplant?
M.B.: Ich habe 2020 die großen Demonstrationen vorfinanziert und dann kamen über die Schenkungen die Rückflüsse. Ich merkte, die Menschen möchten, dass ich weitermache, und unterstützten das auch. Dafür habe ich dieses Gerichtsverfahren bekommen – ich glaube, es gibt kaum einen Versammlungsleiter, der nicht irgendwie ein Gerichtsverfahren bekommen hat; in meinem Fall mit der Beschlagnahmung meines Vermögens. Das schmälert meinen Handlungsspielraum erheblich. Hinzu kommen die Gerichtstermine. Am 31. Juli 2025 ist der letzte Termin im Juli angesetzt, und Anfang August geht es dann bereits weiter. Das heißt, ich habe derzeit nicht die Zeit, hier wie in den vergangenen Jahren monatelange Vorbereitungen zu machen, um die Demonstration in der gewohnten Qualität und Größe zu organisieren. Aber das Team von Querdenken-30 aus Berlin wird sich um die Demonstration kümmern.
DW: Die gemeinsam mit Captain Future bereits eine Menge Demonstrationen in Berlin organisiert haben. So auch die Großdemonstration im August 2022, zu der Zeit, als Sie in Haft waren.
M.B.: Die Stärke von Querdenken war immer die dezentrale Vernetzung. Es wird auf jeden Fall eine Demonstration stattfinden, vielleicht nicht in der Größe der vergangenen Jahre, aber die Demonstration wird stattfinden.
DW: Was hat es denn mit der Aktion We Make Querdenken Great Again auf sich, die Sie vor kurzem gemeinsam mit dem Verleger Jürgen Elsässer und dem Journalisten Kayvan Soufi-Siavash ausgerufen haben?
M.B.: Das bedeutet erst einmal: Wir sind wieder da. Unsere Arbeit als Querdenken-711 – neben der Organisation der großen Demonstrationen –, war der Aufbau der lokalen Gruppen in ganz Deutschland. Insbesondere diese mit IT zu unterstützen. Das heißt Webseite, Telegram-Kanäle, Automatisierung, um Reichweite für die Demonstrationen und die Anliegen zu erreichen. Für die Mobilisierungskraft braucht es eben viel Arbeit in Social-Media-Kanälen. Das ist viel Fleißarbeit, die keiner von uns gerne macht, aber sie muss halt gemacht werden. Sonst verpuffen diese Demonstrationen. We Make Querdenken Great Again heißt erst mal nicht, sofort eine Großdemonstration zu organisieren, sondern die Ortsgruppen wieder stark zu machen. Die Gruppen zu motivieren, in die Eigeninitiative zu gehen, sie zu unterstützen mit dem, was wir haben. Also auf der einen Seite zwei reichweitenstarke Portale, auf der anderen Seite Organisationstalent, Equipment und IT-Wissen. Wenn wir diese organisatorische Stärke wieder entwickelt haben, dann darf es auch gerne wieder eine Großdemonstration geben. Ich hatte bereits in meinem zweiten Brief aus dem Gefängnis geschrieben: Der wahre Anführer ist nicht der mit den meisten Anhängern, sondern jener, der die meisten Anführer hervorbringt.
DW: Welche Initiativen und welche Aktionen unterstützt Sie denn gerade eben?
M.B.: Ich fokussiere mich derzeit stark auf Baden-Württemberg. Ich hatte damals bewusst Querdenken-711 Stuttgart gegründet, da ich die Dinge vor Ort verändern wollte. In Göppingen wird es am 5. Juli 2025 die nächste Demonstration geben. Dort arbeiten jetzt zum Beispiel die Teams aus Göppingen und Reutlingen zusammen und organisieren das. In Schwäbisch Gmünd wird am 12. Juli 2025 eine Kunstaktion von einer Künstlerin stattfinden, die wir unterstützen. Zuletzt gab es in Reutlingen eine recht große Demonstration, zu der Dominik Stapf mit seiner Entfesselten Kamera ein wunderschönes Video gedreht hat, das zeigt, was für eine Energie die Demonstrationen haben, was das für Menschen sind. Wer den Mainstream-Medien glaubt, bekommt ein Bild von einer Realität vermittelt, die nicht existiert. Hier arbeiten wir von Querdenken 711 daran, diese Demonstrationen so darzustellen, wie sie eben sind, nämlich Demonstrationen für Frieden, Freiheit und Grundrechte. Unser Tenor hat sich ja seit 2020 nicht geändert.
DW: Und was machen Sie bei der Initiative Der digitale Aktivist?
M.B.: Mit dem Digitalen Aktivisten habe ich 2021 gestartet, als ich merkte, dass auf meinem iPhone Videos von den Demonstrationen geschwärzt waren und auch Bilder verschwunden waren. Natürlich hatte ich damals mein I-Phone, wie man es eben so macht, mit der Apple Cloud synchronisiert. Und dann wurde da fleißig zensiert. Mir wurde also bewusst, es gibt auch auf dieser Ebene eine staatliche Überwachung und Zensurmöglichkeiten über die Großkonzerne. Wir haben ja erlebt, wie beispielsweise bei YouTube massenhaft gelöscht wurden. Aber auch direkt auf den Geräten haben Großkonzerne aktiv eingegriffen. Mir ging es also darum, diesen Großkonzernen, die uns überwachen und die mit unseren Daten handeln, die Energie zu entziehen, welche wir ihnen mit unseren Daten liefern. Diesen Großkonzernen also kein Geld zu liefern, mit dem sie uns dann unterdrücken können. Privatsphäre ist ein Grundrecht, das auf der Straße bei den Demonstrationen, aber auch im Online-Raum verteidigt werden muss.
DW: Hier haben Sie das Freiheitshandy entwickelt.
M.B.: Ja, über unsere Internetseite digitaler-aktivst.org kann man die Informationen abrufen. Mit den dort verfügbaren Videos kann man sich kostenlos sein eigenes Freiheitshandy installieren. Ein Betriebssystem ohne Google, Apple oder einen anderen Konzern im Hintergrund. Diejenigen, denen die technischen Hürden zu hoch erscheinen, können sich ein vorinstalliertes Handy beim Kopp-Verlag bestellen und es dann selbstständig installieren. Und jene, die sagen, ich möchte es in einer Gruppe machen oder ich brauche Anleitung von einem Trainer, können auf einen Workshop gehen, die wir derzeit in Berlin, München und Stuttgart anbieten. In diesen drei Städten gibt es gerade Ortsgruppen. Das entwickelt sich langsamer als bei Querdenken, weil es auch andere Voraussetzungen an den Wissensstand der Orga-Teams stellt. Aber auch das ist ein großer Erfolg: Ich sitze bei Gericht und kann keine Workshops machen, weil ich dort gebunden bin. Aber die Aktivitäten finden trotzdem statt. Das zeigt mir erneut, wie wichtig Dezentralität ist. Für den Digitalen Aktivsten kam für mich kürzlich aber noch ein weiterer Grund hinzu.
DW: Der wäre?
M.B.: Wir haben zuletzt gesehen, dass die staatlichen Stellen oppositionellen Gruppen zunehmend unterstellen, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Mit diesem Label darf dann TKÜ, also Telekommunikationsüberwachung, aktiv eingesetzt werden. Es werden die Finanzströme überwacht. Es darf abgehört werden. Im Verfahren zum Compact-Magazin wurde öffentlich, dass dort Menschen am Telefon abgehört wurden.
DW: Journalisten wurden direkt abgehört. Das kam sogar noch hinzu.
M.B.: Man kann es natürlich den Überwachungsbehörden einfach machen und alle Daten direkt an Google oder Apple schicken, die von dort direkt an die Überwachungsbehörden gehen. Telegram gehört übrigens auch dazu, da es unverschlüsselt ist. Es ist nicht so, dass ich Telegram Vorwürfe machen möchte. Pavel Durov, der Chef dort, war selbst in Haft. Letztendlich ist das legale Framework in Europa so, dass es diese Überwachungsmethoden gibt.
DW: Ich persönlich gehe davon aus, das alles, was ich mache, mitgeschnitten wird. Wir machen hier ja eine Zeitung, unsere Arbeit ist immer öffentlich.
M.B.: Tja, ich habe selbst im Gefängnis erlebt, wie aus Telegram-Mitschnitten abenteuerliche Vorwürfe konstruiert wurden. Dabei muss man wissen, in einer Haftsituation ist es immer so, dass die Beweislastumkehr gilt. Das heißt, man bleibt so lange in Haft, bis man den Ermittlungsrichter überzeugt hat, dass das, was die Staatsanwaltschaft sich ausgedacht hat, nicht wahr ist. Und schon allein darum ist es natürlich am besten, wenn es wenig TKÜ gibt, also wenig Mitschnitte von Gesprächen, die verfremdet werden können, und die man dann widerlegen muss. Auch das ist das Ziel des Digitalen Aktivisten, hier einen geschützten Ort zu schaffen.
DW: Herr Ballweg, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Hendrik Sodenkamp.