DW: Herr Rügemer, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit BlackRock. Für Einsteiger: BlackRock, was ist das?
Werner Rügemer: BlackRock ist der gegenwärtig größte Akteur einer neuen Phase des US-geführten Kapitalismus. In den 1990er Jahren wurden unter der Regierung von US-Präsident William Clinton die Reformgesetze aus den 1930er Jahren, Roosevelts New Deal, aufgelöst. Neue Kapitalakteure bekamen mehr Freiheiten. Die ein Jahrhundert lang dominierenden Banken – in den USA die Wall Street – wurden entmachtet; einige wenige wie Goldman Sachs und JP Morgan gibt es noch, aber sie gehören BlackRock und Co. Neben diesen ganz großen Finanzakteuren wie BlackRock, Vanguard, State Street, Capital Group, Fidelity, Wellington sind noch tausende neue Finanzakteure entstanden, kleinere, mit jeweils besonderen Geschäftspraktiken, etwa die Hedgefonds und die Private Equity Fonds, die sogenannten Heuschrecken. Inzwischen dominieren diese unregulierten Kapitalakteure auch in US-verbundenen Staaten wie England, Kanada, Australien, Schweiz, Indien, Singapur, Israel – und insbesondere in der EU.
DW: Ihr neues Buch trägt den Untertitel: BlackRock, die heimliche Weltmacht. Warum ist BlackRock eine Weltmacht, sind das nicht eigentlich Staaten?
W.R.: Weltmacht bedeutet: Bisherige Regulierungen gelten nicht mehr, und neue, machtbeschränkende Regulierungen wurden von den Staaten noch nicht eingeführt. BlackRock und Co. gelten offiziell immer noch als shadow banks, Schattenbanken. Das haben die G7-Staaten so beschlossen, als sich nach der Finanzkrise von 2008 zeigte: Die traditionellen Banken haben eine Krise, aber BlackRock und Co. mit ihrem ganz anderen Geschäftsmodell haben gar keine Krise, sondern stattdessen das viele Geld der neuen Superreichen und kaufen die Krisenbanken auf, machen sich zu deren führenden Aktionären. Die G7-Staaten beschlossen: Bevor wir Regulierungen einführen, wollen wir erstmal sehen, was BlackRock und Co. genau machen. Sie wurden im Finanzstabilitätsrat, dem Financial Stability Board (FSB) der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, auf Englisch der Bank for International Settlements (BIS) unter, wie es hieß, Beobachtung gestellt. Die BIS ist die Zentralbank der Zentralbanken mit Sitz in der Schweiz. Aber BlackRock und Co. stehen immer noch unter Beobachtung. So wurden sie zu den größten Aktionären, also Eigentümern von Unternehmen in den USA, aber auch in den reicheren europäischen Staaten wie Deutschland, Frankreich, England, Belgien, Luxemburg, Schweiz usw. und entscheiden über die Wirtschaft, über Investitionen – ohne die Regierungen zu fragen.
DW: Und was ist heimlich an dieser Macht?
W.R.: Im Internet kann man natürlich all das finden, was ich erwähne. Aber der allgemeinen Öffentlichkeit ist das trotzdem unbekannt. Auch die Plapperstuben der öffentlichen und privaten TV-Sender laden nie Vertreter von BlackRock ein, und die drängen sich auch gar nicht in die Öffentlichkeit, wollen im Hintergrund bleiben. BlackRock hat ja auch in Deutschland keine Bankschalter, keine Konten für Normalbürger.
DW: In den vergangenen Wochen wurde viel über die Einflussnahme von Elon Musk auf die Bundestagswahl gesprochen. Ist er als eigenwilliger Unternehmer ein Gegenspieler dieser Macht?
W.R.: Der Einfluss von Elon Musk in Deutschland zeigt sich seit Jahren drastisch bei Bau und Betrieb seiner Tesla-Autofabrik in Brandenburg: Bauen ohne gültige Baugenehmigung, ungeklärter Wasserbedarf und ungeklärte Entsorgung des Abwassers, Verletzung des Betriebsverfassungs-Gesetzes bei der Scheinwahl eines Betriebsrats, höchste Zahl an Notfalleinsätzen für verletzte Arbeiter. Dem stimmten alle Regierungsparteien in Brandenburg zu, SPD, Grüne, CDU. Aus der Bundesregierung kam keine Kritik, auch nicht in den Leitmedien. Und BlackRock, Vanguard, State Street, Geode, Capital haben sehr viel mehr Aktien in Tesla als Musk – Tesla wurde durch BlackRock und Co. groß, dort landen die meisten Gewinne. Musk brauchte sich politisch also gar nicht anzustrengen, um seine Interessen in Deutschland durchzusetzen. Dafür war die AfD gar nicht nötig.
Welchen Einfluss hat BlackRock auf die deutsche Politik, beziehungsweise was sind deren Praktiken in Deutschland?
W.R.: BlackRock ist der größte Aktionär auch in Deutschland, gehört mit Vanguard und anderen zu den führenden Aktionären in den etwa 100 größten Unternehmen in Deutschland. Da werden etwa bei Bayer, BASF, Deutsche Telekom, Covestro und so weiter Auslagerungen der Produktion ins Ausland beschlossen, werden Arbeitsplätze abgebaut – da wird keine Regierung gefragt. In dem neuen Buch veröffentliche ich auch die Liste der vier Dutzend Briefkastenfirmen, die BlackRock in diesen Unternehmen einsetzt. Und etwa der inzwischen größte Taxi- und Transportkonzern der Welt, Uber, kann sich auch in Deutschland völlig unreguliert ausbreiten, auch mit Niedrigstlöhnen für die Fahrer, die gezielt in armen migrantischen, erpressbaren Milieus gesucht werden – übrigens eine modernisierte Form des Rassismus.
Sie veröffentlichen das Buch parallel zur Wahl, aus der nun Friedrich Merz als neuer Bundeskanzler hervorging. Friedrich Merz, wer ist das? Was haben Sie rausgekriegt?
W.R.: Merz ist politischer Erbe und Fortsetzer des CDU-Gründers und ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Im Januar 2025 bei der Konrad-Adenauer-Stiftung pries Merz Adenauer als sein großes Vorbild. Dazu gehört die Verharmlosung des Faschismus. So log Merz über die NSDAP-Mitgliedschaft seines Großvaters, und als das wegen der Faktenlage nicht mehr ging, verharmloste er sie. Merz war früh in der CDU, im Rotary-Club, studierte mithilfe eines Stipendiums der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dazu gehört wie bei Adenauer die US-Hörigkeit. So wurde Merz Mitglied der Trilateralen Kommission, die von David Rockefeller initiiert worden war. Von 2009 bis 2019 war er Vorsitzender der Atlantikbrücke: Die war 1952 von John McCloy initiiert worden, dem Wall-Street-Banker, der als US-Hochkommissar die Gründung der Bundesrepublik überwachte, auf Adenauer aufpasste, dessen Außenpolitik leitete und die in Nürnberg verurteilten NS-Mittäter Flick und Krupp vorzeitig aus dem Gefängnis holte, damit sie, wie es damals hieß, die deutsche Wirtschaft wieder aufbauen.
DW: Und was hat das mit BlackRock zu tun?
W.R.: Merz war 16 Jahre lang, von 2005 bis 2021, Miteigentümer der US-Wirtschaftskanzlei Mayer Brown und für sie als Anwalt tätig, verdiente also doppelt. Die Kanzlei hat in Deutschland einen Schwerpunkt in der Beratung von US-»Heuschrecken«-Investoren, die den Mittelstand aufkaufen und verwerten. Merz leitete die Vertretung der Kanzlei in Berlin, zuletzt gleichzeitig als BlackRock-Funktionär. So wurde er auch durch ein gutes Dutzend gleichzeitiger Aufsichtsratsmandate Multimillionär. Von 2016 bis 2020 war er BlackRock-Funktionär, Vorsitzender der BlackRock Asset Management Deutschland AG. Er arrangierte für seinen Chef Laurence Fink, den Chef von BlackRock, nicht-öffentliche Treffen mit den Finanzministern der Merkel-Regierungen, so mit Wolfgang Schäuble von der CDU und Olaf Scholz von der SPD, außerdem mit dem Chef des Bundeskanzleramtes und so weiter und so fort. Das wurde erst später durch eine Anfrage der Linken im Bundestag bekannt, allerdings nur die Termine, die Themen der Treffen blieben geheim. Die Bundeskanzlerin Merkel deckte Merz – unter ihr wurden ja auch BlackRock und Co. in Deutschland groß.
DW: Den Job als Deutschland-Manager für BlackRock von 2016 bis 2020 hängte Merz jedoch an den Nagel, um als CDU-Chef keinen Interessenskonflikt zu haben, wie er sagte. Was veranlasst Sie zu glauben, dass es diesen Interessenkonflikt dennoch noch gibt?
W.R.: Einen Interessenkonflikt zwischen der Funktion als Abgeordneter und gleichzeitiger Unternehmensfunktionär sah Merz selbst nie. Nur aus Imagegründen trat er zurück. Aber die Verbindung brach nicht ab. Im Januar 2025 wurde Merz von BlackRock-Chef Fink beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit einer Reihe Investoren zum Dinner eingeladen, außerhalb des offiziellen Programms. Und im Wahlprogramm der Merz-CDU finden sich die BlackRock-Essentials, der Kern von BlackRock also: die private Aktienrente, die Privatisierung der Infrastruktur, keine Besteuerung der Superreichen, keine Regulierung der Finanzakteure, noch mehr Kauf von Fracking-Gas und Rüstungsgütern aus den USA.
DW: Mit dem politischen Umschwung in den USA verließ BlackRock das sogenannte Klimabündnis Net Zero Asset Managers Initiative. Menschen, die der konzerngemachten Klimapanik kritisch gegenüberstehen, sahen hierin einen Sieg über den linksliberalen Mainstream. Wie deuten Sie das Umschwenken BlackRocks?
W.R.: BlackRock & Co. sind mit dem sogenannten linksliberalen Mainstream der Partei der Demokraten, mit den US-Regierungen unter Clinton, Obama und Biden/Harris groß geworden. Der Einsatz für Nachhaltigkeit war aber wesentlich nur eine Werbemaßnahme für junge Neukunden und vom Volumen her gering – während das absolut dominierende Geschäft weiter in den Gewinnen in den größten umweltschädlichen Branchen bestand: Rüstung, Agrobusiness, Chemie, Fracking, Öl, Kreuzfahrt und bei den Digitalkonzernen mit ihrem ungeheuren, aber versteckten Ressourcen- und Energiebedarf etwa für Geräte, Unterseekabel, Clouds und Speicherfarmen, Datencenter und globale Zulieferketten. Wie vorher die Obama-Linie gehört jetzt die Trump-Linie zwanglos auch zur BlackRock-Linie. BlackRock hat sowieso, neben der Finanzierung der Demokraten-Partei, immer auch die Republikaner-Partei bespendet.
DW: Vier Jahre Kanzlerschaft von Friedrich Merz drohen. Was erwartet der Konzern von ihm?
W.R.: BlackRock muss gar nichts von ihm erwarten. Der Multimillionär Merz mit den zwei Privatjets befördert den Armuts- und Kriegskapitalismus mit den steigenden Börsenkursen zugunsten der Superreichen – auch ohne Erwartungen oder Anweisungen von oben.
DW: Und was dürfen wir hoffen?
W.R.: Auf einen breiten Widerstand, der endlich gegen diese seit 25 Jahren, auch durch Merz vertretene Politik losgehen muss!
DW: Herr Rügemer wir danken Ihnen für das Gespräch.