Die Franzosen konnten bei der letzten Präsidentenwahl zwischen Pest und Cholera wählen. Die Franzosen haben Emmanuel Macron gewählt, weil sie seine Gegenkandidatin Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National nicht haben wollten.
Das war exakt die Finalposition bei der letzten Präsidentenwahl 2017. Nur etwa 25 Prozent aller berechtigten Franzosen entschieden sich beide Male in der ersten Runde der Wahlen für Emmanuel Macron. Doch diesmal gelang es nicht mehr so überzeugend, Macron-Verabscheuer zur Wahl von eben diesem Macron zu nötigen. Der Abstand vom Sieger Macron zu Le Pen betrug jedoch immer noch satte 17 Prozent.
Le Pen drohte, im Fall ihres Sieges alle Windkraftanlagen einzustampfen und dafür Atomkraftwerke und Fossilenergie auszubauen. Ihre außenpolitischen Vorstellungen dagegen sind beinahe identisch mit den Vorstellungen des früheren legendären Präsidenten Charles de Gaulle. Le Pen optiert de facto für ein Europa der Vaterländer – für einen europäischen Staatenbund anstelle eines europäischen Bundesstaates. Sie will Frankreich wieder aus den Nato-Kommandostrukturen herausführen und außenpolitisch offen sein für Eurasien. Aber dadurch, dass Le Pen diese Positionen vertritt, sind de Gaulles Grundsätze jetzt »igitt« und in der rechten Schmuddelecke endverklappt.
EIN PRÄSIDENT
DER ELITEN
Nun hat Frankreich einen Präsidenten, den drei Viertel der Franzosen nicht wollen. Immerhin weiß man, was einem nun blüht. Macron erhielt seine ersten Weihen in einem Jesuiteninternat. Danach absolvierte er ein Studium an der zweitbesten Eliteschule Frankreichs. Um dann als verbeamteter Finanzdirektor ein hartes Praktikum zu absolvieren.
Mitterand-Intimus Jacques Attali katapultierte Macron als nächstes in die Pariser Rothschild-Investmentbank. Auch die Kür zum Young Global Leader des World Economic Forum war Macrons Karriere sicher nicht abträglich.
2012 steigt der junge Führer beim frisch gewählten Präsidenten François Hollande als dessen buchstäblich rechte Hand ein und staucht die Minister des linken Flügels der regierenden
sozialistischen Partei bis zur Bedeutungslosigkeit zusammen. Macron macht dem amerikanischen Stromkonzern General Electrics den Weg frei für die Übernahme der Stromsparte des französischen Konzerns Alstom. Als Minis ter für Wirtschaft, Industrie und Digitales regiert Macron aufgrund fehlender parlamentarischer Grundlage als de facto-Präsident seit 2014 mit Notverordnungen.
52 Prozent der Franzosen fordern laut Umfragen den sofortigen Rücktritt des Ministers der Superreichen. Doch Präsident Hollande schaut hilflos zu. Seine sogenannte Sozialistische Partei zersplittert angesichts der ausgelösten Spannungen in verfeindete Fraktionen. Macron tritt 2016 als Minister zurück. Ungerührt von jenem Scherbenhaufen sammelt Macron bei den Superreichen 16 Millionen Euro ein und gründet kurzerhand seine neue »Sammlungsbewegung« La République en Marche und gewinnt 2017 die Präsidentschaft mit der Drohung: wenn nicht er, dann die rechtsradikale Le Pen.
ADIEU
SOZIALSTAAT
Das wirkt. Präsident Macron ist jetzt neuer Wirtschaftsdiktator. Zunächst gilt es, die Vermögenssteuer abzuschaffen. Dann die Macht der Gewerkschaften zu rasieren: Kleine und mittlere Betriebe können Vereinbarungen direkt mit ihren Beschäftigten abschließen. Dann, nach deutschem Vorbild, die staatliche Eisenbahn Schritt für Schritt privatisieren. Immer mehr Menschen werden aus gesicherten Berufen in prekäre »Jobs« abgedrängt. Die von Macron erzwungene Öffnung der sozialen Schere zwischen arm und reich führt Ende 2018 zu heftigen Protesten der so genannten Gelbwesten. Dienstleistungsarbeiter sind empört über die Teuerung der Benzinpreise. Die Kosten für die Fahrt zum Arbeitsplatz nehmen von den sowieso schon geringen Löhnen viel zu viel weg. Im April 2019 führt der Präsidenten-König einen allgemeinen »Nationalen Dienst« für junge Leute ein. Was sich Macron in der Corona-Plandemie herausnahm, ist noch in frischer Erinnerung.
Welche Probleme warten jetzt auf den neu gewählten Präsidenten? Nach den von Frankreich selber auf den Weg gebrachten Kriterien von Maastricht dürfte Frankreich der Europäischen Union eigentlich nicht mehr angehören. Denn das Defizit der Regierung durch die Staatsausgaben beträgt zwischenzeitlich zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Macron will das Defizit bis 2027 auf unter drei Prozent drücken. Dreimal darf man raten, wo die Einsparungen wohl vorgenommen werden, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Vermutlich wird dann im Sozialbereich der Sparstift angesetzt. Was natürlich – das verstehen wir doch alle – gewisse Härten unerlässlich macht, die dann wieder mit Notverordnungen durchgesetzt werden? Die Erhöhung des Renteneintrittsalters von jetzt 62 Jahre auf zukünftig 65 Jahre ist schon festgeschrieben auf der Agenda-Liste. Ja, und dank der genialen Corona-Politik beträgt die Staatsverschuldung aktuell 114,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt.
Das heißt: Die Schuldenlast liegt 14 Prozent über dem, was alle Franzosen in einem Jahr erarbeiten können. Es gibt also wieder viel zum Protestieren in den nächsten fünf Jahren.