Das Handelsblatt eröffnete seine Montagsausgabe mit einem dicken Knaller. Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP macht sich stark für eine Wiederbelebung der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP): »Wir sollten die Verhandlungen zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen wieder aufnehmen. Gerade jetzt in der Krise zeigt sich, wie wichtig der freie Handel mit Partnern in der
Welt ist, die unsere Werte teilen.«
Die vier Buchstaben TTIP sind bei vielen Menschen äußerst negativ belegt. Im Jahre 2017 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump TTIP eingefroren. In Europa scheiterte das Abkommen am massiven Widerstand der Bevölkerung im ersten Anlauf. Lindner rät also zur Vorsicht: »Aus den Erfahrungen mit den TTIP-Gesprächen sollten wir dabei lernen.« Was in Normalsprache übersetzt bedeutet: »Diesmal müssen wir das aber geschickter anstellen!«
In der Tat hatte TTIP die Gemüter erregt, nachdem Anti-Lobbyorganisationen wie Corporate Europe Observatory den Menschen draußen im Lande deutlich gemacht hatten, was sich hinter den vier Buchstaben verbirgt. So sollten die Zollschranken zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union in fast allen Bereichen entfallen. Die Areale der USA und der EU wären dann de facto ein einziger großer Binnenstaat. Schnell war zu erkennen, dass TTIP den Amerikanern erhebliche Vorteile verschafft. Europäische Umweltstandards würden ebenso geschreddert wie in Jahrzehnten erkämpfte Rechte von Arbeitern und Angestellten.
TTIP SCHEITERTE
AM ÖFFENTLICHEN DRUCK
Es gelang den TTIP-Kritikern, der Öffentlichkeit die Einbußen durch das umstrittene Freihandelsabkommen anhand des Chlorhühnchens nahezubringen. In den USA dürfen frisch geschlachtete Hühner in ein Chlorbad gelegt werden, um sie schnell zu desinfizieren. Das ist wegen begründeter gesundheitlicher Bedenken in Europa verboten. Mit TTIP wären gechlorte Hühnerleichen auch in Europa legalisiert worden. So demonstrierten am 10. Oktober 2015 über 250.000 Teilnehmer in Berlin gegen TTIP. Am 17. September 2016 protestierten in sieben deutschen Städten bereits insgesamt über 320.000 Mitbürger gegen das Freihandelsabkommen.
Die Empörung kochte erst so richtig hoch, als Stück für Stück in die Öffentlichkeit sickerte, dass zusammen mit TTIP so genannte Investitionsschiedsgerichte außerhalb der demokratischen Gerichtsbarkeit von der Öffentlichkeit nicht kontrollierbar Nationalstaaten zu milliardenschweren Geldbußen verurteilen könnten. Sollte es einem Staat einfallen, Atomkraftwerke abzuschalten oder umweltfeindliche Großbauprojekte zu untersagen, würden Anwälte von betroffenen Globalkonzernen diesen Staat verklagen. Eine geheime Richterschaft, ausschließlich nominiert von den Konzernen, würde ihr »objektives« Urteil sprechen. Eine Verhöhnung jeder Rechtsstaatlichkeit. Leider ist diese Art von »Rechtsprechung« unabhängig von TTIP schon lange gängige Praxis.
De facto hätte das infame Freihandelsabkommen 400 Jahre Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit einem Federstrich zur Makulatur werden lassen. Staaten wären dann auch offiziell nur noch entkernte Organismen, nur noch zuständig für Aufrüstung sowie den Schutz von Verträgen und von privatem Eigentum. Wie sich so etwas konkret auswirkt, kann man an dem bereits wirksamen nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA studieren. Die Landwirtschaft Mexikos wird von der US-amerikanischen Agroindustrie niedergewalzt mit der Folge, dass die enteigneten mexikanischen Bauern jetzt in den US-Agroplantagen als rechtlose Schwarzarbeiter weit unter Tariflohn arbeiten müssen. Dass dieser Kelch im ersten Anlauf an uns vorüberging, verdanken wir zwei Akteuren: zum einen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hatte sich der Volksrepublik China zugewandt und war nicht abgeneigt, Deutschland in das Seidenstraßenprojekt einzubringen. Gegen den massiven Erpressungsdruck der Obama-Regierung zahlte Merkel 1,2 Milliarden Dollar aus deutschen Steuermitteln in die neue Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) ein und öffnete für Deutschland den aufstrebenden eurasischen Wirtschaftsraum. Zum anderen wurde Donald Trump neuer Präsident der USA. Trump fror TTIP für die Dauer seiner Präsidentschaft ein.
TTIP EXISTIERT
SCHON LANGE
Natürlich haben die Putschisten aus den Zentralen der Globalkonzerne den Kampf nicht aufgegeben. Auf der Ebene der Unternehmerverbände gibt es TTIP schon lange. Bereits seit dem Jahre 2013 sind die Unternehmerverbände der USA und der EU zum »Transatlantic Business Council« zusammengefasst,um alle Geschäftsleute zwischen Warschau und Los Angeles auf den ungehemmten Welthandel einzuschwören. Und so ist auch für das Handelsblatt klar: »Nur das Kürzel ›TTIP‹ darf niemand in den Mund nehmen. Das ist für alle Zeit verbrannt.«
Nun wissen wir ja alle, dass in den Zeiten der Oppositionsbänke niemand Geringeres als die Grünen sich wortgewaltig gegen die TTIP-Diktatur gestemmt haben. Nun sitzt aber Wirtschafts- und Fracking-Minister Robert Habeck mit dem eingangs erwähnten Christian Lindner von den Liberalen auf ein und derselben Regierungsbank. Um dem Habeck die nötige Glaubwürdigkeit zu bewahren, konstruiert die Mainstream-Presse einen »Streit« zwischen Lindner und dem grünlackierten Habeck. Doch das ist natürlich Unsinn. Auf Lindners TTIP-Wiederbelebung angesprochen, zeigt sich der Grüne gar nicht abgeneigt. Habeck verweist auf einen nun gerade wieder in aller Stille
von EU-Kommission und US-Regierung eingerichteten Trade and Technology Council und sagt schlau: »Das sollten wir ausbauen, also ein Zusammenspiel beim Handeln und bei der technischen Regulierung.« Vermutlich handelt es sich beim Trade and Technology Council bereits um eine Art von »TTIP light«.
DER STAAT ALS
KONZERNINSTRUMENT
Es hat sich nämlich seit der TTIP-Einschläferung im Jahre 2016 und heute verdammt viel ereignet. Die Staaten sind noch viel weiter in ihren Entfaltungsmöglichkeiten beschnitten worden. Nach ihren drei mysteriösen Zitteranfällen verordnete Kanzlerin Merkel der deutschen Gesellschaft und besonders dem öffentlichen Sektor eine künstliche Zwangslähmung durch die Corona-Maßnahmen, was die Abwehrkräfte der Zivilgesellschaft nicht gerade gefördert hat. Die Staaten der westlichen Werte-
gemeinschaft wurden mit einer gigantischen Zwangsverschuldung handlungsunfähig gemacht. Und während dessen sind die realen und virtuellen Vermögenswerte des Westens unter die zentralistische Kontrolle eines Giganten namens Blackrock geraten.
Blackrock verwaltet ein Vermögen von zehn Billionen Dollar. Blackrock folgt in seinen Strategien ausschließlich der Logik der Geldvermehrung. Gemeinwohl und Frieden spielen in diesen Überlegungen keine Rolle. Wenn das so weiter geht, brauchen wir gar kein Freihandelsabkommen mehr. Eine solche Übermacht der globalen Finanzkonzerne führt zwangsläufig in unkontrollierte Kriege, wie Werner Rügemer in seinem Buch »Blackrock & Co enteignen!« schreibt: »Blackrock & Co sind die größten Eigentümer der westlichen Rüstungskonzerne, die jetzt mit Hassproduktion und Aufrüstung gegen China und Russland noch mehr Gewinne machen.«
Hermann Ploppa ist Buchautor und Chef des Wirtschaftsressorts dieser Zeitung.