Der Krieg in der Ukraine hat mal eben die angloamerikanische globale Wirtschaftsordnung zerschossen. Wir sind Zeugen historischer Veränderungen. Unverkennbar stehen sich jetzt zwei große Wirtschaftsblöcke gegenüber: auf der einen Seite die von den USA dominierte Ordnung. Auf der anderen Seite hat sich ein Block gebildet, der sich um China und Russland herum kristallisiert.
Es hat schon lange geknirscht im Gebälk der Globalwirtschaft. Der Krieg ist der Meißel, der die Risse in den Steinadern in eine Spaltung des Steins umwandelt. Der Westen hat Russland mit Sanktionen aus dem westlichen Kosmos herausgestoßen. Russische Gelder auf westlichen Konten sind eingefroren – alleine 640 Milliarden US-Dollar Einlagen der russischen Sberbank sind betroffen. Dass russische Oligarchen ihre Luxusyachten nicht mehr benutzen können, ist indes nur wichtig für die Regenbogenpresse. Aber dass Russland angeblich aus dem weltweiten Kontoführungssystem ausgeschlossen wurde, sorgte allgemein für Aufsehen.
Dabei wissen die Amerikaner ganz genau, wo die Früchte hängen. Denn ganz schlau haben sie bestimmt, dass die Anlieferung von russischen Rohstoffen in die USA über neutrale Drittländer weiterhin über das SWIFT-System abgewickelt werden darf. Während sich die Bundesregierung in Deppendorf verpflichtet, auf russische Rohstoffe im großen Stil zu verzichten. Oder vielleicht doch nicht? Bundeskanzler Scholz betonte jetzt, auch Deutschland wolle nicht auf russische Rohstoffe verzichten.
SANKTIONEN PRALLEN
AN RUSSEN AB
Die Zweiteilung der Weltwirtschaft ist indes nicht mehr aufzuhalten, auch wenn der Westen so langsam kapiert, dass das nicht wirklich vorteilhaft ist. China und Russland haben schon vor Jahren ein eigenes internationales Kontoführungssystem eingerichtet. Und: Russland ist von Visa und Mastercard abgeschnitten? Macht nichts. Die Russen schalten sofort um auf das bereits in 180 Ländern gültige chinesische Union-Pay. Russland soll keine Flugzeuge von Airbus mehr bekommen? Macht nichts. Russland hat soeben mit der Serienfertigung eigener Passagierflugzeuge begonnen. Airbus bekommt jetzt einen neuen »Mitbewerber« aus Russland.
Russische Flugzeuge dürfen nicht mehr im Machtbereich der Angloamerikaner fliegen? Im Gegenzug dürfen westliche Fluggesellschaften ihre Flieger nicht mehr über russisches Staatsgebiet fliegen lassen. Das tut richtig weh, wenn die westlichen Flieger weite Umwege fliegen müssen. Die vom Corona-Regime stark gebeutelten Fluggesellschaften werden
sich bedanken. Die gerade eingerichtete »Eiserne Seidenstraße« machte es möglich, Lasten auf Zügen in zwei Wochen von Shanghai nach Duisburg zu transportieren. Das ist erheblich kürzer und selbstverständlich auch umweltschonender als der unendlich lange Weg per Schiff über die Ozeane. Jetzt endet der Zug an der polnisch-weißrussischen Grenze.
DEUTSCHER MITTELSTAND IST
DER GROSSE VERLIERER
Der größte Verlierer der Sanktionen gegen Russland ist allerdings Deutschland. Gerade hat die Bundesregierung verfügt, dass es keine Hermes-Bürgschaften mehr für die deutsche mittelständische Wirtschaft geben soll. Die Hermes-Bürgschaften erstatten deutschen Unternehmern Geld, wenn der ausländische Geschäftspartner zahlungsunfähig ist. Keine Frage: Der Handel mit Russland soll platt gemacht werden. Die Zeche zahlt der deutsche Mittelstand – wieder einmal. Aus Russland kommen lebenswichtige Rohstoffe für die deutsche Industrie. Schon jetzt kann in den VW-Werken in Zwickau und Dresden nur einige Tage in der Woche gearbeitet werden.
Es fehlt nicht nur billiges Erdgas und Erdöl aus Russland, sondern auch Palladium und Titan. Deutsche Direktinvestitionen in Russland in Höhe von 25 Milliarden Euro hängen in der Luft. 3.651 deutsche Unternehmen engagieren sich in Russland mit 277.000 Mitarbeitern. Das alles ist existentiell bedroht, wenn jetzt Deutschland sich im Ukraine-Krieg zum aktiven Kriegsteilnehmer macht. Denn Deutschland liefert ohne erkennbare Not 1.000 Panzerabwehrwaffen und 500 Stinger-Boden-Luft-Raketen in die Ukraine. Dazu 14 sondergeschützte gepanzerte Fahrzeuge für das große Schlachten.
Was wir an dieser Mikrostudie für Deutschland sehen, kann man durchaus verallgemeinern: Das Kind ist in den Brunnen gefallen und nicht mehr zu retten. Eines der größten Probleme
des Wertewestens ist dessen gigantische Verschuldung. Seit dem Ende der Gold-Deckung des US-Dollars Anfang der 1970er Jahre gibt es kein Halten mehr. Der Westen lebt auf Pump.
Alleine in der Corona-Kampagne hat die Europäische Zentralbank 750 Milliarden Euro aus dem Nichts in den Wirtschaftskreislauf geschleust. Das hätte gutgehen können, wenn dieser Papierregen tatsächlich die Realwirtschaft stimuliert hätte. Tat er aber nicht. Denn die ganzen selbstzerstörerischen Schikanen des Corona-Regimes ließen das Geld ins Leere laufen. Weltweit, darauf hat der Ökonom Christian Kreiß jüngst erst wieder hingewiesen, ist der Wertewesten mit 296 Billionen Dollar verschuldet – das macht das dreieinhalbfache der aktuellen weltweiten Wirtschaftskraft!
DER OSTEN
IST GEWAPPNET
Die Zentralbankgeldmenge hat sich in den USA um den Faktor elf und in der Eurozone um den Faktor neun seit 2007 vermehrt. Der Westen feiert seine makabre Endzeitparty. Ohne Rücksicht auf die Zukunft. Gewiss, auch die Volksrepublik China finanziert ihren Wirtschaftsaufstieg auf Pump. Das erzeugt natürlich Schlagzeilen wie beim chinesischen Immobilienkonzern Evergrande. Dennoch hat China immense Wachstumspotentiale. Das arme Westchina wird jetzt infrastrukturell erschlossen. Das Luftgeld füllt sich rasch mit Substanz. Das ist ein ganz anderer Schnack als im Westen.
Und Russland? Russland ist nun wirklich grundsolide Old School. Mit großer Geduld hat die russische Regierung dafür gesorgt, dass das Riesenreich kaum noch internationale Schulden hat. Zudem hat es seine Dollar-Reserven massiv abgebaut und dafür im Gegenzug bis heute 2.300 Tonnen Gold gehortet, was einen Wert von 140 Milliarden Dollar repräsentiert. Der russische Rubel ist keine Luftnummer. Wenn das westliche Finanzwesen hustet, wird Russland heute keine Lungenentzündung mehr bekommen.
DER ZUSAMMENBRUCH
DER US-IMPERIUMS
Der Wertewesten reagiert auf diese Entwicklungen wie ein kleines Kind: Es will diese Strukturen zertrampeln. Die einzige Antwort des Westens ist, Kriege zu führen. Das ist schon lange so. Die USA halten sich aufgrund ihrer gigantischen Militärausgaben nach wie vor für allmächtig. Dabei hatte eine Gruppe von Militärexperten schon dem damaligen Präsidenten Obama ein Memorandum auf den Tisch gelegt, aus dem hervorgeht: Die US-Streitkräfte sind nur noch bedingt einsatzbereit. Es gibt kaum noch Ausschreibungen bei neuen Rüstungsvorhaben. Zudem will jeder Senator seine Zustimmung zum Vorhaben mit lukrativen Aufträgen für seinen Wahlkreis belohnt wissen. Es gibt keine Qualitätskontrolle mehr. Stattdessen blanke Vetternwirtschaft und Korruption. Doch der Rat der weisen Militärveteranen wurde großräumig ignoriert. Daran änderte auch der schmachvolle Abzug aus Afghanistan nichts.
Die Reaktion des Westens auf Putins Militärintervention in der Ukraine hat nun also dazu geführt, dass der Wertewesten seinen eigenen Niedergang massiv beschleunigt hat. Wir sind Zeugen eines epochalen Umbruchs. Machen wir das Beste daraus.
Hermann Ploppa ist Buchautor und Chef des Wirtschaftsressorts dieser Zeitung.