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Interview

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Die beiden Mitglieder des Corona-Untersuchungsausschusses in Brandenburg, Lars Hünich und Christoph Berndt, decken das skandalöse und schlampige Regierungshandeln während der ausgerufenen Pandemie auf. | INTERVIEW von Alexandra Motschmann

Von Alexandra Motschmann

Alexandra Motschmann: Wer kam auf die Idee, einen parlamentarischen Ausschuss ins Leben zu rufen?
Lars Hünich: Christoph Berndt und ich waren die Initiatoren, nachdem sehr früh nach Ausruf der pandemischen Lage klar war, auf welch dünner Informationslage die schwer in die Freiheitsrechte eingreifenden Maßnahmen beschlossen wurden. Wir führten dazu ein Gespräch mit mehreren beratenden Referenten und für uns war anschließend klar, dass die Trias von Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit nicht erfüllt sein konnte. Im Mai letzten Jahres 2020 fand der Hauptausschuss statt, bei dem drei Rechtsprofessoren zur Anhörung anwesend waren. Aus deren juristischer Sicht waren die Corona-Maßnahmen in Brandenburg verfassungswidrig. Diese Einschätzung überschnitt sich mit unserer Auffassung, so dass wir unsentschlossen, einen Untersuchungsausschuss anzustreben.


Warum wurde nur in Brandenburg ein Untersuchungsausschussins Leben gerufen und nicht zum Beispiel in Bayern?
Christoph Berndt: Regelmäßig stehen diese starken parlamentarischen Kontrollrechte nur einer Opposition ab einer bestimmten Größe zu – ein Fünftel oder ein Viertel sind hier deutschlandweit regelmäßige Quoren. Dieses Quorum erreicht die AfD nur in wenigen Ländern. Unsere Fraktion im Brandenburger Landtag hat 23 von 88 Abgeordneten und erreicht damit das hier notwendige Quorum von 20 Prozent, um einen solchen Antrag ohne Koalitionspartner beschließen zu können.


Was für Fragen stellt ihr in eurem Ausschuss genau?
Hünich: In dem Ausschuss geht es tatsächlich rein um Fragen des Regierungshandelns – auf welcher Datenbasis wurde entschieden, warum wurde wie entschieden, und was genau wurde mit den Entscheidungen erreicht. Zu medizinischen Themen können wir nur soweit fragen, wie diese zur Grundlage für eine konkrete staatliche Maßnahme geworden sind. Der Ausschuss untersucht also nicht die pandemische Diagnose anhand medizinischer Fragen, sondern ob das Regierungshandeln erforderlich, geeignet und erhältnismäßig auf der Grundlage der pandemischen Diagnose war und wie die Diagnose zustande gekommen ist.


Wann genau hat der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen?
Hünich: Am 23. September 2020 wurde der Antrag im Landtag beschlossen und wir haben im Januar 2021 mit der Arbeit begonnen. Seitdem wurden Regierungsvertreter, Ministerialbeamte, Angehörige aus dem Koordinierungsstab, Wirtschaftsverbände und so weiter eingeladen. Wir haben auch die Herren Christian Drosten und Lothar
Wieler vom RKI im Ausschuss befragt.


Haben die anderen Parteien eure Arbeit mit Wohlwollen unterstützt, um auch gemeinsam die Wahrheit herauszufinden?
Hünich: Nein, leider nicht wirklich. Die SPD, die CDU, die Grünen und die Linke boykottieren die Arbeit im Untersuchungsausschuss, wo sie nur können.


Könnt ihr dazu einige Beispiele nennen, wie kann man sich dieses Querschießen vorstellen?
Berndt: Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses ist der SPD-Abgeordnete Daniel Keller. Wir hatten zum Beispiel mit unseren Beweisanträgen auch Frau Angela Merkel und Herrn Markus Söder vorladen wollen. Dies wurde jedoch von Herrn Keller vereitelt.


Man sollte meinen, dass jeder die Wahrheit herausfinden möchte. Ihr hattet auch einen Herrn Drosten eingeladen. Was sagte er zum PCR-Test?
Hünich: Herr Drosten hat den PCR-Test als nicht aussagekräftig dargestellt, wenn nicht im Zuge des gemachten PCR-Tests auch ein Arzt über den Patienten eine zusätzliche medizinische Aussage trifft. Er erklärte, dass 70 Prozent der PCR-Tests kaum aussagekräftig sind und man bei 30 Prozent davon ausgehen könne, dass der Coronavirus vielleicht aktiv ist.


Habe ich richtig verstanden, dass die Aussage eines positiven Corona PCR-Tests nur im Zusammenhang mit einer ärztlichen Einschätzung seine Richtigkeit hat?
Hünich: Ja genau, nur der durchgeführte PCR-Test mit zusätzlicher ärztlicher Anamnese sagt über den negativen oder positiven Test etwas aus.


Habt ihr auch die Frage gestellt, ob es eine Differenzialdiagnose mit Sentinel-Praxen gegeben hat?
Berndt: Ja, das haben wir auch alles gefragt, denn im Allgemeinen werden kontinuierlich oder periodisch wiederkehrend epidemiologisch relevante Daten quasi als Nebenprodukt innerhalb der gesundheitlichen Vorsorge oder Versorgung mit dem Ziel erfasst, epidemische Entwicklungen spezifischer Krankheitsfelder in einer Teil-Bevölkerung beziehungsweise der Bevölkerung insgesamt zu ermitteln. Und dies wurde zum Beispiel von einem Herrn Wieler verneint.


Es wurden also keine Routine-Sentinels geplant, um das epidemiologische Monitoring durch das Meldesystem methodisch und inhaltlich zu ergänzen beziehungsweise zu validieren?
Berndt: Ja, so ist es.


Unglaublich. Doch wie ist der Lockdown denn beschlossen worden, wenn diese Zahlen, Daten und Fakten gar nicht erhoben wurden?
Hünich: Sowohl die Bildungsministerin Britta Ernst als auch Ministerpräsident Dietmar Woidke meinten, dass die Ministerkonferenz am 12. März 2021 den Lockdown beschlossen hat. Herr Woidke meinte, die Bilder von Bergamo hätten in ihm das Gefühl hervorgerufen, dass man jetzt handeln müsse. Meiner Meinung nach kann ein Ministerpräsident nicht nach seinen Gefühlen entscheiden, sondern muss zwingend die bestmögliche Informationslage herstellen. Dazu stehen ihm ja auch ein sehr großer Staatsapparat und die öffentlichen Gelder zur Verfügung. Dies gilt natürlich insbesondere, wenn die Entscheidung so weitreichende Konsequenzen nach sich zieht. In dieser besonders verantwortungsvollen Lage aufgrund von Gefühlen zu entscheiden, ist die maximal vorstellbare Verfehlung auf erster Ebene des Regierungshandelns.


Waren die Bilder von Bergamo nicht erst am 18. März 2020 in den Medien zu sehen, also nach der Ministerkonferenz?
Hünich: Ja, das stimmt. Und einige derBilder, wie die mit den Särgen, waren Bilder, die in Lampedusa im Jahr 2013 entstanden sind. Auch hier haben die öffentlich-rechtlichen Medien Falschmeldungen in Deutschland verbreitet.


Auch Frau Britta Ernst, die Ehefrau von Olaf Scholz, wurde vorgeladen. Was hat sie zu dieser Thematik erzählt?
Berndt: Frau Britta Ernst hat gemeint, dass Kinder keine Treiber der Pandemie seien. Sie sagte jedoch auch, dass Eltern die Maßnahmen in den Schulen so haben wollten. Dies zeigt einmal mehr, dass Regierungsvertreter die Verantwortung für ihr Handeln von sich weisen und damit genau die Aufgabe verfehlen, für die sie ins Amt gesetzt wurden. Unsere Nachfrage an Frau Ernst, ob sie selbst handlungsleitend war, ob sie selbst hätte entscheiden können, hat der Vorsitzende des Ausschusses Herr Keller blockiert. Sie hätte vermutlich antworten müssen: »Ja, ich hätte selbst beschließen können, ob die Schulen geschlossen werden oder nicht.« Wir haben es hier also mit einer organisierten Verantwortungslosigkeit zu tun. Interessanterweise war die Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher Mitte April 2020 sehr skeptisch gegenüber der Panikmache beim Corona-Thema eingestellt, dann plötzlich fand eine Kehrtwende statt. Warum, konnten wir nicht herausfinden.


Was hat Herr Lothar Wieler zum Pandemiegeschehen gesagt?
Hünich: Zunächst fanden wir es interessant, dass Herr Wieler nicht allein zur Anhörung kam, sondern einen Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium mitgenommen hatte, weil dieser sich auf diesem Gebiet gut auskennt. Herr Wieler erklärte, dass das RKI die Daten von den Gesundheitsämtern bekäme. Die politischen Verantwortlichen scheinen immer wieder dazu geneigt zu sein, die Verantwortung von sich auf andere abzuschieben. Die Frage, ob eine richtige Auswertung der überbrachten Zahlen stattgefunden hatte, verneinte Herr Wieler.


Nach welchen Zahlen ist man denn nun mit den Corona-Maßnahmen vorgegangen?
Berndt: Wir luden auch Herrn Michael Stübgen, Leiter des Interministerialen Koordinierungsstabes, in den Ausschuss ein und fragten ihn, woher er die Daten erhalten hatte. Er gab an, er hätte sie vom Gesundheitsministerium und auch vom RKI erhalten. Das RKI wiederum bekommt die Zahlen angeblich vom Gesundheitsministerium. So schiebt sich jeder gegenseitig den Verantwortungsball zu und am Ende ist keiner verantwortlich. Genau das ist organisierte Verantwortungslosigkeit. Es scheint also, als würden die Zahlen irgendwo zwischen dem RKI in Berlin und dem Ministerium in Brandenburg vom Himmel fallen, und als genauso seriös sind die offiziellen Zahlen wohl auch zu betrachten.


Wie kam es dazu, dass die ganzen Schließungen angeordnet wurden?
Hünich: Das haben wir uns auch gefragt, besonders weil hier ja mit zweierlei Maß gemessen wurde. Wir haben hier den Staatssekretär Michael Ranft befragt: »Wie kommt es, dass die Einzelhändler geschlossen wurden und die großen Discounter wie Lidl, Aldi und so weiter nicht?« Die Antwort war kurios: »Haben wir so ausgehandelt, die Kanzlerin wollte es so.«


Habt ihr auch nach einer repräsentativen Antikörperstudie gefragt, wie das tatsächliche Infektionsgeschehen aussieht?
Hünich: Selbstverständlich haben wir auch nach dem Differenzieren der Atemwegsdaten gefragt, aber bis heute gibt es nichts dergleichen. Es wurde mehrfach angefragt, warum das nicht gemacht wird. Jeder wurde gefragt, auch Wieler und Woidke. Die Antwort blieb aus. Selbst die taz hat mal eine Datenerhebung gemacht. Hier in Deutschland wird nicht mehr hinterfragt und nur noch mitgegangen, wenn jemand in der Führung etwas anordnet. In Katastrophenfilmen aus Hollywood gibt es immer ein Gremium mit Übersichtsfunktion. In der Merkel’schen Bundesrepublik hat man sich das geschenkt und setzt stattdessen auf Propaganda.


Ich bin fassungslos. Hat denn niemand über die wirtschaftlichen Folgen nachgedacht?
Berndt: Am 12. November 2021 hatten wir Wirtschaftsminister Jörg Steinbach im Ausschuss und fragten ihn, wie hoch der wirtschaftliche Schaden durch Corona sei. Daraufhin antwortete er, dazu keinerlei Daten zu haben. Alle tappen im Dunkeln und zum Licht am Ende des Tunnels will niemand gehen, denn dann müsste man seine Handlungsweise hinterfragen und womöglich Fehler zugeben. Und immer, wenn ein Zeugesich verplappert hat, wurde vom Aus schussvorsitzenden Daniel Keller interveniert. Die Wahrheit soll nicht gehört und nicht publik gemacht werden.


Gefangenendilemma und Stockholm-Syndrom zugleich.Alles steht und fällt nach meinem Verständnis mit der Ministerpräsidentenkonferenz?
Hünich: Ja, die Ministerpräsidentenkonferenz ist bezüglich des Regierungshandelns offenbar das »Non-plus-Ultra« geworden, an deren informelle Beschlüsse sich die
Landesregierung in Brandenburg weitestgehend hält. Jedenfalls hat die Landesregierung auch keine bessere Entscheidungsgrundlage, als einfach mit der Ministerpräsidentenkonferenz mitzudackeln. Es ist davon auszugehen, dass es allen dort vertretenen Regierungsvertretern so geht und die Entscheidungen auch dort eher nach Gefühl gefällt werden.


Ist euer Ausschuss auch öffentlich zugänglich?
Hünich: Ja, die Öffentlichkeit kann dazukommen, er wird im Nebenraum live per Leinwand übertragen, aktuell aber begrenzt auf 30 Personen wegen der
Eindämmungsmaßnahmen im Landtag.


Ich danke euch beiden für eure Zeit und diese wichtigen Informationen.
Berndt und Hünich: Vielen Dank auch dir und dem Demokratischen Widerstand für dieses offene Gespräch.



Alexandra Motschmann ist Dichterin und Managerin von internationalen Großprojekten in der IT-Branche. Sie lebt in Bayern.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 73 am 17. Dez. 2021




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