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Interview

Eine Welt voller Nashörner

Der Philosoph, Buchautor und Youtuber Gunnar Kaiser lässt die letzten 18 Monate Revue passieren. Er spricht über schockierende Zitate, den Mut jedes Einzelnen und die traurige Wahrheit, dass wir uns inmitten von mehreren psychologischen Experimenten befinden. | DW-INTERVIEW von Sarah Schmidt

Von Sarah Schmidt

DW: Wie geht es Ihnen nun nach all den Monaten Aktivismus? Sind Sie noch optimistisch?
Gunnar Kaiser: Ich schöpfe meine Kraft aus dem Pessimismus, würde ich derzeit sagen. Da kann man sich noch die Chance erhalten, positiv überrascht zu werden. Aber es ist auch von Tag zu Tag unterschiedlich. Jetzt gerade ist es ganz gut. Das hängt dann immer davon ab, was passiert. Heute ist es zum Beispiel, dass der Film »Eine andere Freiheit«, wo auch Til Schweiger mitspielt, angekündigt wurde. Und der Film auch viel Zustimmung bekommt. Das sorgt für ein gutes Gefühl. Auf der anderen Seite war es ein Zitat von Christian Drosten: »Die Regierung muss über eine Impfpflicht nachdenken.« Gleichzeitig die Situation in Italien, wohin ich auch hoffe, auswandern zu können. Dort wird auch die Impfpflicht nochmal stärker angedacht. Das stimmt einen dann schon wieder nachdenklicher.

Würden Sie nach all der Arbeit, den Interviews, den Recherchen heute etwas anders machen?
Eigentlich das Gleiche. Ich würde vielleicht noch früher und konsequenter in das Positive gehen und die konstruktiven Vorschläge suchen, wobei das eben keine Weltverbesserungsvorschläge sind oder wie kommen wir gesellschaftlich ganz aus der Krise raus, sondern eben Lösungen für den Einzelnen. Zum Beispiel wie er sich vernetzen kann, was er tun kann, um auch den Widerstand zu fördern, aber auch gleichzeitig gesund zu leben und seinen Lebensmut nicht zu verlieren. Diese Vorschläge, Lösungen und Vernetzungsmöglichkeiten gibt es alle. Obwohl ich mir das aber auch selbst vorgenommen hatte, falle ich natürlich auch immer wieder in die Kritik am Bestehenden, aber ich weiß gar nicht, ob das überhaupt noch irgendwas bringt.

Was schockiert Sie an den heutigen Zeiten am meisten?

Bei mir ist es einmal die Situation der Kinder. Meine eigenen Kinder sind Gott sei Dank schon 21, sodass ich nicht mehr diese ganz starken emotionalen Gedanken »Ich muss jetzt handeln für die Kinder« habe, muss mit ihnen vielleicht sogar auswandern oder andere Möglichkeiten finden. Aber ich hatte das ja als Lehrer, wo ich eben doch diesen Handlungsbedarf hatte und das begleitet mich natürlich immer noch. Zum Beispiel die Frage: Was wird mit den Kindern in den Schulen gemacht? Meines Erachtens ist das Missbrauch, was da passiert, wenn man gesunden Kindern und Kindern, die auch nicht groß gefährdet sind, Angst macht. Wenn man sie mit Masken und Abstandregeln malträtiert und wenn man ihnen mit der Drohung der Impfung kommt. Das berührt mich.

Zum anderen sind das dann die Zitate, die ich sammle, die immer deutlicher werden in ihrer Formulierung. »Impfen macht frei« hat jetzt tatsächlich ein CDU-Abgeordneter getwittert. Er hat es dann hinterher gelöscht, weil dann doch ein gewisser kleiner Aufschrei kam. Oder ein weiteres Zitat – nur eines von vielen – das mich schockiert. Der Gesundheitsminister in Rheinland-Pfalz Clemens Hoch hat gesagt: »Die Ungeimpften werden sich darauf einstellen müssen, dass man sie sehr genau beobachten wird.« Also, wer da nicht aufwacht und aufschreit, der ist für mich vollkommen verloren. Und leider sind das die meisten im Land.

Was hilft Ihnen in diesen Zeiten?
Das Eingeständnis oder die Erkenntnis, dass es sich um eine Art »Spiel« handelt. Das will ich jetzt nicht sagen, um das zu verharmlosen, sondern dass mir klar wird, dass da etwas passiert, was ich auch eingehen muss. Ich kann das gar nicht ablehnen, aber ich kann es auch gewissermaßen mitspielen. Ich kann mir die Frage stellen: Was ist jetzt zu tun? Und natürlich wird das nicht von heute auf morgen enden, aber man kann das wie eine Heldenreise – vielleicht ist das der bessere Begriff – sehen. Wir kommen jetzt gerade in eine gewisse Phase, die uns vielleicht noch nie in unserem Leben präsentiert worden ist, wo wir mutig sein müssen. Das ist jetzt meine Phase, wo ich mir ausmale, wo meine Handlung ist und mein Mut am meisten gefragt ist. Und dann kann ich was finden und dann gehe ich in diesen kleinen Bereich. Ein Gespräch mit meinem Nachbarn, mit meiner Familie oder dass ich den Demokratischen Widerstand austeile oder ein kleines Video mache. Das können ruhig kleine Sachen sein, die trotzdem auch ein Zeichen von Opferbereitschaft sind. Sorry für diese religiöse Kriegsrhetorik. Aber es ist jetzt tatsächlich an der Zeit zu sagen: Es wird nicht für uns gemacht. Wir müssen es selbst machen.

Eine sehr geniale Kritik war der Text »Die Corona-Impfung als Kommunion«. Dort sind viele Zusammenhänge gut dargestellt und gleichzeitig humoristisch.
Das bewirkt vielleicht mehr bei den Menschen, weil es nicht so drastisch wirkt. Ich würde sagen, Sie sind auch eher ein gesetzter Kritiker ...

Es ist interessant, dass Sie das sagen, weil diese Situation als Kultverhalten zu sehen und es als Kommunion zu sehen, ist für mich erst einmal so wie in dem Film »They live« von John Carpenter. Es erinnert mich an diese Szene, wo er die Brille dann so aufsetzt und auf einmal sieht, was die Zeichen eigentlich bedeuten. Und es ist eigentlich ein erschreckender Moment, wo man sagen würde: Das will ich gar nicht wissen, dass das alles hier so anders ist. Aber wenn man darüber lachen kann, ist es vielleicht eher ein Weg, um die Leute dorthin gucken zu lassen. Das stimmt. Ich mache nicht immer so dramatisch und drastisch, weil ich zu wenig weiß. Wenn ich mir jetzt total sicher wäre, dass uns die Impfung zum Beispiel alle tötet, dann würde ich es vielleicht auch sagen. Aber ich habe keine Ahnung. Ich bin dann auch vielleicht zu sehr Philosoph. In der Erkenntnistheorie weiß man ja, dass man schon ziemlich viel nicht weiß und nicht mal das weiß man genau. Und dann kann man nur sagen: Ich warne davor, dass wir in totalitäre Verhältnisse abdriften. Ich könnte mich auch irren, aber: Better safe than sorry. Also warne ich mal lieber. Und dann klingt das etwas gesetzter.

Im Bereich der Philosophie muss ich vor allem immer wieder an die Wissenschaftstheorie und das Konformitätsexperiment des polnisch-amerikanischen Psychologen Solomon Asch denken, was wir in einem Semester durchgenommen hatten ...
Ja. Ich glaube, wir leben in einem weltweiten Solomon Asch-Experiment. Wir leben auf globalem Maßstab in einem Milgram-Experiment. Wir leben in einem Stanford-Prison-Experiment, wo Wächter und Gefangene aufeinandergehetzt werden und man die Mechanismen der Spaltung sieht, die Rollenzuteilung, die Identifikation. Nochmal gepaart mit diesem »Bidermon’s Chart of Coercion«, wo man überlegt hat, wie man Menschen mit Gehirnwäsche dazu bringen kann, fügsam zu sein und bestimmte Geheimnisse auszuplaudern. Das passiert alles. Und das ist das Schreckliche, dass wir in so einem Clus-ter Fuck von psychologischen Experimenten auf der gesellschaftlichen Ebene geraten sind.

Sie hatten Unmengen an Interviewpartnern bisher. Wer oder was ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Das ist sehr viel. Zum einen würde ich das Interview mit dem Mediziner Sucharit Bhakdi hervorheben, der mir nochmal alles, auch noch vor dem Interview, gezeigt hat und sich die Zeit genommen hat, das alles einem Laien wie mir zu erklären. Und das auch mit seiner Frau Karina Reiß im Interview sehr gut erklärt hat, das dann allerdings – wie vorauszusehen – von Youtube und sogar auch auf Vimeo gelöscht wurde. Es ist noch in zensierter Version zu sehen. Aber das Video war für mich auch ein besonderer Moment. Ich dachte mir, oh, ich bin hier gerade Teil beziehungsweise Zeuge einer neuen wissenschaftlichen Offenbarung und darf dabei mithelfen, das medial zu verbreiten. Da war ich dann auch stolz.

Was hat Sie noch inspiriert?
Das andere war ein Interview mit dem österreichischen Schauspieler Robert Düringer, das in der Form gar nichts damit zu tun hatte. Da haben wir gar nicht über Viren, Mikrobiologie oder Immunologie gesprochen, sondern über die Kraft der Kunst, der Nähe zur Natur, des Rückzugs und die Rückbesinnung auf sich selbst. Er hat das Wort »Daseinsmächtigkeit« benutzt, was auch in seiner Persönlichkeit sehr stark zum Tragen kam. Ein Mann, der in Österreich sehr berühmt war und vielleicht immer noch ist, aber der sich auch dann irgendwann dazu besonnen hat zu sagen: Nein, ich möchte an diesem Kartell von Lügen und sich verbiegen müssen, nicht mehr teilnehmen. Dadurch ein großes Publikum verloren, aber auch einige Menschen dazugewonnen hat und dem es jetzt dadurch mental auch viel besser geht.

Sie meinten vorhin schon, dass wir wissen, dass wir nichts wissen. Aber was wäre denn das Worst Case Scenario in ihren Augen?
Da ich Schriftsteller bin, kann ich mir sehr viel Dystopisches vorstellen und habe auch eine gewisse Angstlust am total durchgeführten Great Reset, der zu einer globalen biopolitischen technokratischen neuen Weltordnung führt, in der die Menschen einfach nur noch verwaltete Elemente ohne Selbstbestimmung sind. Menschen, die das aber im Huxley-Style auch noch glücklich absegnen und ihre Ketten lieben. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Verbunden mit diesem Transhumanistischen und dem Gedanken der Digitalisierung, dass wir immer mehr mit der Maschine, mit dem Algorithmus, mit den sozialen Medien verbunden sind, die uns eine zweite Welt vorgaukeln, die langsam, aber sicher zu unserer ersten Welt wird. Die Menschen sehe ich auf lange Sicht – das wird vielleicht nicht im nächsten Jahr passieren, aber es wird vielleicht noch in diesem Jahrhundert sein – in eine Art virtuelle Welt flüchten, die dann auch schön sein wird. Eine schöne neue Welt, aber eben nicht mehr die Wahrheit.

Und was wäre das Beste, was der Welt passieren könnte?
Ein positiver Ansatz wäre, dass aus dieser Gegenbewegung, aus diesem Widerstand und dieser neuen Kultur, die eigentlich an das Alte erinnert, etwas Gutes entsteht. Es ist ja gar nichts Neues, sondern wir wollen Grundrechte, wir wollen Freiheit, wir wollen Selbstbestimmung und eine Bildung, die ihren Namen verdient. Wir wollen Schulen, die unseren Kindern das Beste gewährleisten. Und dann überlegt man: Ach ja, war das eigentlich früher so? Eigentlich auch nicht so richtig. Vielleicht können wir aus dieser Gegenbewegung schon mal einzelne Orte wie Samen installieren, die dann sprießen und die neue Kultur vorbereiten. Eine Kultur, in der es auf einem größeren Level besser sein könnte, als es vor der Krise war.

Könnten Sie ein philosophisches oder literarisches Werk nennen, was für Sie der Zeit am nächsten kommt?
Eins zu benennen ist sehr schwer, weil die Werke ja unterschiedliche Ebenen ansprechen. »Der Untertan« von Heinrich Mann zeigt die Mentalität der Gesellschaft. Leider auch ohne Kaiser. Es wäre mir lieber, wenn es wenigstens die Kaiserzeit wäre und man einen adrett daher marschierenden Kaiser Wilhelm hätte, dem man zujubelt. Das könnte man nämlich auch schneller lächerlich machen. Aber diese formlose Ideologie, die gar keine richtigen Führergestalten mehr präsentiert: Drosten, Lauterbach, Merkel. Die kann man nicht mal als charismatische Führer entlarven. Die sind in ihrem Auftreten schon lächerlich genug. Da braucht es keine Satire mehr. Aber ich entgehe der Frage. Für mich persönlich ist es Kafkas »Schloss«, da ich mich fühle wie jemand, der die ganze Zeit eigentlich zum Verwalter dieses Schlosses vordringen möchte, der die Geschicke dieses Landes lenkt, aber man kommt nie dahin. Doch alle sind davon beeinflusst. Ich glaube am stärksten ist es das Werk »Die Nashörner« von Eugène Ionesco, ein französischer Dramatiker des Absurden, wo gezeigt wird, wie die Menschen sich nach und nach verwandeln und es wird kein Grund angegeben, warum das passiert. Das spielt aber auch keine Rolle, weil allein diese drastische Entwicklung, dass da Menschen wie in einer Epidemie in eine absurde Welt weggezogen werden, so bedrückend ist. Auch die Warnungen verstärken eben das Ganze sogar noch. Es sind nur ganz wenige, die das erkennen und am Schluss bleibt auch nur einer übrig und der kann auch nichts dagegen machen, dass die ganze Welt zu Nashörnern wird.


Sarah Schmidt ist studierte Germanistin und Philosophin. Sie arbeitet als freie Journalistin für Radio und Print.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 64 am 01. Okt. 2021




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