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Glosse

Zwischen sturem Prinzip und Leben (2)

EINWURF von Werner Köhne

Von Werner Köhne

Mit dem IC nach Münster zu einer Lesung. Zuvor auf dem Bahnsteig in Köln gepanzerte Körper – jeweils zu dritt. Selbst schlecht bezahlte Ordnungskräfte bedienen das Ideal einer »wehrhaften« Neuen Normalität, die aus Individuen Funktionsträger und aus Funktionsträgern blinde Exekutoren staatlichen Anordnungswahns macht.


öln. Wie fühlen sie sich in dieser Rüstung – etwa wie in einem Film aus den 1930er Jahren, wo die gut sitzende Uniform des Leutnants bei den Damen den erotischen Kick mitlieferte? In einer maskierten Welt wirken die in alarmistischem Gelb gehaltenen Uniformen und die spitz zulaufenden Gedächtnismasken allerdings wenig sexy – eher einschüchternd.

Ankunft in Münster – die Stadt war mir einmal die Einlösung des Versprechens »Stadtluft macht frei«. Das hieß wildes Herumlaufen mit den Beatles im Bauch nach dem Rausschmiss aus einem Kloster internat. Am Abend die Lesung mit einer verblüffenden Erkenntnis: Hier begegne ich einer Community, die sich den Idealen einer herrschaftsfreien Kommunikation so sehr annähern, dass der ganze Frust des letzten Jahres sich einmal in befreiende Rede auflöst. Man wünschte sich in diesen Stunden, dass die »Coronierten« diesem lockeren Zusammensein hätten zuschauen können.

Das freie Atmen, die trefflichen Beiträge, die hier nicht im üblichen Clinch um Zahlen mündeten, sondern auf die Frage zielten: Was bedeutet ein geglücktes Leben – was Sterben? Wie können wir Nietzsches »Amor fati« und Camus’ »zärtliche Gleichgültigkeit der Welt« zurückgewinnen? Eins wurde klar: Vieles geht zur Zeit nur in überschaubaren Gemeinschaften, die der allgemeinen Existenzverhärtung einen Entwurf von Freiheit entgegenhalten.

Am Ende des Abends gegenseitige Ermutigung. Fast erinnerte das an die verfolgten frühchristlichen Gemeinden in den Katakomben Roms. Private Initiatoren – das sei hier lobend erwähnt – machen solche Treffen möglich. Fehlte nur noch ein dionysischer Tanz am Ende – mit Lena, Van Morrison und Eric Clapton.


Köhne, Autor der »Minima Mortalia«, geht auf Lesereise. Einladungen willkommen: wernerpaulkoehne@gmail.com




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 60 am 27. Aug. 2021




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