Gibt es für diese Beschäftigten zweiter Klasse eigentlich Kurzarbeitergeld? Wie sieht es eigentlich mit dem versteckten Impfzwang aus? Wie viel Druck sind Leiharbeiter tatsächlich ausgesetzt?
Der Intensivkrankenpfleger Ricardo Lange hatte vor Kurzem vor laufender Kamera bei der Bundespressekonferenz im Beisein von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler unerschrocken allerlei unbequeme Wahrheiten über den Zustand in den Intensivstationen deutscher Krankenhäuser ganz gelassen ausgesprochen. Der Demokratische Widerstand verlieh Lange dafür den Preis der Republik. Die Öffentlichkeit erfuhr nebenbei, dass der Brandenburger Intensivpfleger bei einer Leiharbeitsfirma angestellt ist und zwischen verschiedenen Krankenhäusern hin- und herwechselt. Dass Mitarbeiter mit einem so hohen Qualifikationsprofil ausleihbar sind, klingt höchst befremdlich. Ricardo Lange hatte sich allerdings freiwillig als Zeitarbeiter einstellen lassen. Er könne jetzt die Arbeitszeit selber bestimmen und auch ablehnen, was ihm als Stammarbeiter nicht möglich sei, erklärte er der Zeitschrift Stern.
Dass jemand freiwillig Zeitoder Leiharbeiter wird, ist eher die Ausnahme. Wer bei den einschlägigen Zeitarbeitsfirmen wie Adecco, Randstad oder Manpower anheuert, hofft, dass er doch irgendwann einmal von einer Firma fest übernommen wird. Was das für ein Gefühl ist, als Leiharbeiter in der ausleihenden Firma tätig zu sein, als Beschäftigter zweiter Wahl, ohne die Rechte der Stammarbeiter, und dazu wesentlich schlechter entlohnt für dieselbe Arbeit, das hat der Autor dieser Zeilen als Student auch erleben müssen. Man gehört nicht dazu. Vielleicht lassen sich das die Stammarbeiter nicht unbedingt sofort anmerken. Aber richtige Beziehungen baut man ja nur auf, wenn man langfristig zusammen arbeitet und nicht nur für einige Wochen oder Monate. Es gibt sogar Betriebe, in denen Unterhaltungen zwischen Stamm- und Leiharbeitern über die gemeinsamen Arbeitsbedingungen strikt untersagt sind und Zuwiderhandlungen mit fristloser Kündigung geahndet werden. Und jetzt in Zeiten von Corona mit dem Social Distancing und der Virenangst stehen Kollegen, die zwischen vielen Arbeitsplätzen herumrotieren, natürlich noch mehr unter Beobachtung als zuvor.
DANK WERKVERTRÄGE IN DIE SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT
Kommerzielle Leiharbeitsverhältnisse gibt es überhaupt erst seit 1967. Damals befand das Bundesverfassungsgericht, das Arbeitsvermittlungsmonopol des Staates sei verfassungswidrig. Seitdem erlebte die sogenannte Zeitarbeit eine ungeahnte Blüte. Arbeiter anzustellen und sie dann nach Belieben an andere Firmen auszuleihen, wurde immer beliebter. Denn Arbeitgeber konnten jetzt Mitarbeiter beliebig an- und abheuern ohne gesetzliche Beschränkungen berücksichtigen zu müssen. Ursprünglich sollte der Leiharbeiter nie mehr als drei Monate in einem bestimmten Betrieb arbeiten, damit die Zweiklassen-Belegschaften nicht zur Regel werden. Zwischenzeitlich wurden die Gesetze so geändert, dass die Verweildauer in einem bestimmten Betrieb für Leiharbeiter keine Obergrenze mehr kannte.
Seit 2017 ist diese Dauer nun wieder auf 18 Monate begrenzt. Seit einigen Jahren sind immer so in etwa eine Million Beschäftigte in Zeitarbeit. Und selbst große Konzerne wie Mercedes greifen auf Leiharbeiter zurück. Manchmal werden ganze Abteilungen ausgegliedert, einem neu gegründeten Subunternehmen zugeteilt, und ausschließlich mit Leiharbeitern zu Minimallöhnen betrieben. Möglich wurde dies durch Tarifverträge der Unternehmen mit sogenannten Gelben Gewerkschaften, meistens mit dem Etikett »Christlich«. Als das Bundesarbeitsgericht im Jahre 2010 diese Verträge für nichtig erklärte, ließ man sich was Neues einfallen: Seither sind viele Beschäftigte scheinselbständig. Sie schließen mit dem Arbeitgeber sogenannte »Werkverträge«: Der Arbeiter bekommt einen fixen Betrag, und muss für alle sozialen Abgaben selber aufkommen.
Die Annullierung einstiger Errungenschaften der Arbeiterbewegung wird von allen im Bundestag vertretenen Parteien wacker mitgetragen, außer von der Linkspartei. Während nun im letzten Jahr Corona-bedingt zunächst die Zeitarbeit im Rückzug war, erlebt sie jetzt unter den Bedingungen immer offensichtlicher werdender Insolvenzen mit nachfolgenden Entlassungen und Kurzarbeitsverhältnissen eine Renaissance.
Zeitarbeitsfirmen preisen ihr Produkt als ideale Wiedereinstiegsdroge in das Erwerbsleben an. Zwar lausig entlohnt, aber doch besser noch als Arbeitslosigkeit, oder? Das darf bezweifelt werden. Dem Handelsblatt rechnet Stefan Körzell vom Bundesvorstand des DGB vor, dass bei einem gesetzlichen Brutto-Monatslohn von 1.510 Euro bei einem Kurzarbeitergeld für kinderlose Zeitarbeiter unter dem Strich gerade einmal 670 Euro übrigbleiben. Kein Wunder also, dass ein großer Teil der Zeitarbeiter sogenannte »Aufstocker« sind. Was zum nackten Überleben fehlt, zahlt die Solidargemeinschaft in Form des Arbeitslosengeldes II dazu. Also wir. Nicht die Zeitarbeitsfirmen.
Und weil sich unsere Bundesregierung so viel Sorgen um unser aller Wohl macht, hat sie im letzten Jahr kurzerhand angeordnet, dass nicht nur Zeitarbeitsfirmen ihr Personal ausleihen dürfen. So haben kürzlich der Discounter Aldi und die Fast-Food-Kette McDonald’s eine sogenannte Personalpartnerschaft abgeschlossen. Weil Hamburger aktuell nicht verabreicht werden dürfen, können die McDonald’s-Mitarbeiter ersatzweise an der Aldi-Kasse sitzen. Stundenweise.
Hermann Ploppa ist Buchautor und Chef des Wirtschaftsressorts dieser Zeitung.