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Kommentar

Wer bin ich – und wenn ja – ein Linker?

EINWURF von Werner Köhne

Von Werner Köhne

Köln vor ein paar Tagen: Das von der Antifa mir entgegengebrüllte »Halt die Fresse, du Nazi« noch im Ohr, frage ich mich: Bin ich noch ein Linker? Dazu ein skizzenhafter Rückblick.

1967, gerade aus dem Klosterinternat geflogen. Im Rausch der neuen Freiheit konfrontiere ich bei einer Kundgebung den Kanzler Kurt Georg Kiesinger mit seiner Nazivergangenheit. Empörung im Saal. Einige Sauerländer Schützenfestmarschierer rufen mir zu: »Rübe ab, du Gammler«. »Herbst der Gammler«, so auch der Titel eines Films damals. Er dokumentiert mittels langsamer Kamerafahrt über die hasserfüllten Gesichter von Passan-ten, dass die meisten Deutschen noch faschistisch tickten.

1973: Kurzzeitig als Nachtwächter in Düsseldorf tätig, mache ich Bekanntschaft mit den hungerstreikenden Anverwandten von Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhoff Sie fordern vor dem Justizpalast ein Ende der Isolationsfolter. Wie sie da in Decken gehüllt sitzen – ein statuarisches Bild. Dass ich damals nicht in den Untergrund wechselte – eher Zufall. Oder doch ein Rest des Bauernjungen in mir?

In den späten 70ern dann diese Ernüch-terung: Die links/alternative Bewegung, zwischen Erdung und Utopie gestartet, verkümmert zum Milieu – eine Posse: Da treffen sich der promovierte Taxifahrer, der keine Lehrerstelle mehr bekam, mit dem verbeamteten Studienrat und dem Erben aus Tübingen in der Kneipe in Kreuzberg, hören dieselben Songs, teilen dieselben Ideen. Der Besitzer der Kneipe wird in wenigen Jahren zum Millionär. Aus links kann man also Kapital schlagen: In diesem Klima entwickelt sich die Toskanafrak-tion – eine Vorform der Grünen.

1989: Der Mauerfall – bis heute ein Fall, der manche Argumentationsschleifen der linken Welterklärung zu Fall bringt. Spätestens 1998 nach dem Kosovo-Desaster konnte man/frau kein Linksgrüner mehr sein. Die Partei »Die Linke« selbst blieb bis heute Partei, kein Auffangbecken mehr für soziale Bewegungen. Seither irrlichtert das linke Projekt durch die Lande, heimatlos, geschichtslos, oft auch freudlos. Zuletzt dann: Mit dem Slogan »Gegen Rechts« krabbelt die geschrumpfte Kohorte »Links« auf Muttis Schoß. Im Corona-Bann schließlich gewinnt eine stalinistische Zielsetzung unter Linken wieder an Gewicht: Die staatlich gesteuerte Beglückung der »Massen« – zu Lasten der Freiheit. Wie geht diese Auszehrung einer Utopie weiter – wie?




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 48 am 21. Mai 2021




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