DW: Wie sollen wir Sie vorstellen?
Ich arbeite als Arzt im Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin. Bei Twitter bin ich als Berliner Hedonist zu finden.
Wie war ihre Arbeitssituation allgemein und mit Corona im Speziellen im Humboldt-Klinikum des vergangenen Jahres?
Nach einer Art Schockstarre im März hatte sich eine gewisse Normalität eingestellt. Seit November tragen alle FFP2-Masken. Das ist schon stark gewöhnungsbedürftig. Alle Patienten bekamen vor stationärer Aufnahme ambulant einen Corona-Abstrich. Notfallpatienten wurden zunächst bis zum Abstrichergebnis isoliert untergebracht. Insgesamt gab es aber im letzten Jahr ca. 20 Prozent weniger Patienten in unserer Klinik. Viele Patienten sind verunsichert und gehen jetzt seltener, oder auch nur, wenn es für sie unumgänglich ist, in die Arztpraxen und Kliniken.
Nun wurde eine Virusmutation mit dem Namen B117 im Krankenhaus gefunden, das Krankenhaus wurde geschlossen und die Mitarbeiter in die Pendlerquarantäne geschickt. Halten Sie dieses Vorgehen für medizinisch sinnvoll? Und warum?
Ich halte diese Entscheidung für angstgetriggert. Mit einer Mutation war zu rechnen. Lediglich das Labor Berlin hat Charité- und Vivantes-Patienten sequenziert und da wir sehr viele Coronapatienten behandeln, war ein B117-Nachweis vorprogrammiert. Diese Variante ist sicher schon weit verbreitet und ob sie wirklich tödlicher ist, ist aktuell rein spekulativ.
Sollte die Strategie, die jetzt am Humboldt-Klinikum angewendet wird, Schule machen?
Aus meiner Sicht wäre zunächst eine komplette Testung aller Patienten und des Personals ausreichend gewesen. Wenn die Strategie einer kompletten Klinikschließung Schule macht, haben wir wirklich in wenigen Wochen den nationalen Notstand, da B117 sicher häufig nachweisbar ist.
Es ist davon auszugehen, dass die Regierung eben vermeiden möchte, dass sich eine Klinikschließung wiederholt und mit dieser Argumentation die sogenannten Lockdown-Maßnahmen für alle Menschen verlängern wird. Wie sehen Sie dies im Hinblick auf die Situation an Ihrer Klinik?
Ich denke, wir haben insgesamt in Deutschland und insbesondere bei uns im Vivantes Humboldt-Klinikum als Gesamtteam im Frühjahr sehr gut agiert und unsere Erfahrungen gesammelt. Eine AOK-Studie vom Sommer hat ergeben, dass nur circa zwei Prozent der Gesamtbetten und nur zehn Prozent der Intensivkapazitäten in Deutschland benötigt wurden. Der Altersmedian der Verstorbenen liegt aktuell in Berlin bei 83 Jahren. Circa 60 Prozent sind nicht auf Intensivstationen gestorben. Auch wenn im Herbst doppelt so viele Covid-Patienten auf den Intensivstationen lagen, war das System nie an der Belastungsgrenze. Alle anderen Informationen waren Panikmache oder Berufspolitik. Im schlimmsten Fall schon Wahlkampf.
Ist eine Verlängerung über den 14. Februar hinaus notwendig, damit die Versorgungs- und Arbeitssituation an Ihrer Klinik nicht chaotisch wird?
Die Gesamtbelegung war im letzten Jahr keinen großen Schwankungen unterworfen. Eine Klinik arbeitet sowieso erst ab 80 Prozent Belegung kostendeckend. Aber es gibt große Unterschiede in Europa. Zum Vergleich: Spanien hat rund neun Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, Deutschland 33. Die Sterblichkeit ist identisch. Deutschland hat also eher eine Überkapazität. Umgekehrt war im Frühjahr die gute ambulante Versorgung im Zusammenspiel mit den Gesundheitsämtern in Deutschland ein Vorteil. In Ländern wie Frankreich oder Italien, wo. auch die Testungen in den Kliniken stattfanden, sind nachweislich mehr Menschen gestorben. Aus dieser Perspektive ist ein Lockdown für mich völlig irrational. Erste Daten aus Schweden beispielsweise zeigen, dass es auch dort 2020 ohne Lockdown keine Übersterblichkeit gab.
Haben Sie und ihre Kollegen persönlich Angst vor dem Corona-Virus?
Ich habe keine Angst, in meiner Altersgruppe ist die Wahrscheinlichkeit bei einer Infektion zu versterben circa 0,05 Prozent. Aber es gibt schon eine größere Anzahl von Kollegen, die sich jetzt auch schnell impfen lassen möchten.
Wie gehen Sie mit der sogenannten Pendelquarantäne um, also dem Befehl, sich nur noch zwischen Arbeitsstelle und Zuhause bewegen zu dürfen?
Dadurch, dass alle Freizeitaktivitäten sowieso nahezu eingefroren sind, fühle ich mich bisher nicht beeinträchtigt. Theoretisch dürfte ich sogar mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV in die Klinik fahren, nur mit meiner Familie darf ich nicht spazieren gehen. Und Einkaufen muss jetzt meine Frau alleine.