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EISIGE ZEITEN FÜR DIE DEMOKRATIE

Solange Menschen auf ihre Grund- und Menschenrechte bestehen und gemeinsam Ideen entwickeln, können sie nur gewinnen.

Von Nadine Strotmann

Seit der Ausrufung der Pandemie scheint nichts zu gelten, was einmal war. Das bürgerliche Selbstverständnis von politischem Engagement, gesellschaftlicher Teilhabe und Anspruch auf Mitgestaltung ist offensichtlich nicht mehr gefragt. Zumindest nicht bei den Machthabenden. Eine oppositionelle Parteigründung in einer Szene-Bar in Berlin Prenzlauer Berg wird zum Schauplatz des Demokratie-Verlustes, zum Abbild der gesellschaftlichen Spaltung und des fehlenden Dialog zwischen den Vertretern des offiziellen Narrativs und ihren Kritikern. 


Es ist kalt an diesem frühen Donnerstagabend in Berlin, ein eisiger Wind weht aus Nord-Ost, die Straßen rund um den Kollwitz-Kiez in Prenzlauer Berg sind leergefegt. Hier und da kreuzt ein Radfahrer die Straße, vereinzelt huschen ein paar Menschen über die breiten Bürgersteige, verschwinden mit Einkaufstaschen in dunklen Hauseingängen. Die Großstadtlichter der Bars und Restaurants sind im Lockdown erloschen. Manche vielleicht für immer. Die einzige Bar, die am Abend des 14. Januar hell leuchtet, ist das Scotch & Sofa am Anfang der Kollwitzstraße. Drinnen wartet Sören Pohlen, der Inhaber des Szene-Treffs, hinter dem Tresen auf seine Gäste. Der große Mann mit hellblauen Augen und aufrechtem Gang stellt heute seine Bar als Treffpunkt für eine geschlossene Parteigründung zur Verfügung. Er selbst will auch politisch aktiv werden.


Seit sechs Jahren betreibt der 52-Jährige die Wohnzimmerbar im Vintage-Stil, zuvor war er in der Altenpflege tätig. Die Bar sei sein Lebenswerk, sagt Pohlen. Jetzt stehe er kurz vor der Insolvenz. »Ich habe die Nase voll«, sagt er. »Sämtliche Versprechen wurden von der Politik gebrochen.« Als Barbesitzer sei er seit Monaten im Lockdown, habe 300.000 Euro Verlust eingefahren und nur 24.000 Euro als Kompensation erhalten. Die Nerven lägen blank, die Verzweiflung sei groß und ein Ende der drakonischen Maßnahmen nicht in Sicht. »Ich verstehe das Handeln der Politik nicht mehr«, sagt Pohlen. »Selbst das Robert-Koch-Institut bestätigt, dass die Gastronomie kein Hotspot von Infektionen ist: Warum wird alles geschlossen?« Der gebürtige Heidelberger hat das Vertrauen in die Regierung verloren. Seine Stimme wird leiser: »Aus einem Lockdown wurden viele, das Ziel ist unbekannt, die Zukunft ebenso.« In den sozialen Medien sei er dann auf die Aktion Team Freiheit aufmerksam geworden. 


DEBATTENRAUM ALS TEIL GELEBTER DEMOKRATIE


Während die ersten Gäste eintrudeln, es werden 28 an diesem Abend, wird Pohlen nervös. Draußen bleiben Passanten am Fenster stehen, machen Fotos. Tuscheln. Was, wenn die Polizei auftaucht? Der Gastronom wartet auf die zwei Ideengeber und Berater des heutigen Abends: die Rechtsanwälte Viviane Fischer und Dr. Reiner Füllmich. Dann ist es soweit: Fischer, eine mittelgroße, schlanke Frau mit blondem Kurzhaarbob und fliederfarbenem Designermantel, betritt gemeinsam mit ihrem Kollegen Füllmich, in Jeans und Lederjacke, die Bar. Beide sind Gründungsmitglieder des Corona-Ausschusses, der sich seit Beginn der ausgerufenen Pandemie mit einer umfassenden Aufklärung rund um die Maßnahmen beschäftigt. Fischer und Füllmich hatten die Idee zur lokalen Parteigründung und riefen vor kurzem ihre eigene unter dem Namen Team Freiheit ins Leben.


Fischer sieht derzeit eine große Notwendigkeit für politisches Engagement. »Uns fehlt ein Debattenraum – und das im doppelten Sinn«, sagt die Juristin. Persönliche Treffen mit Nachbarn, Bekannten aus dem Kiez fänden aufgrund der Verordnungen nicht mehr statt und dabei gehe es doch gerade darum, sich in der Krise kontrovers auszutauschen, Orte der Begegnung zu schaffen, sich innerhalb seiner lokalen Umgebung zu unterstützen und gemeinsam Ideen zu entwickeln. Da würden sich die stillgelegten Bars und Restaurants geradezu anbieten.


Wer die Teilnehmer an diesem Abend genauer betrachtet, sieht die Mitte der Gesellschaft, nicht den Rand: Von Ärzten, über Musiker, Unternehmensberater und freiberufliche Kreative, von jung bis alt – alles ist dabei. So unterschiedlich wie die Besucher sind, so groß ihr gemeinsamer Nenner: Jeder ist mit der aktuellen Politik unzufrieden, jeder will sich engagieren. In kleinen Gruppen tauschen sich bis dato fremde Menschen aus, sprechen über ihre Beweggründe, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihr politisches Bestreben. Während der kurzen Kennenlernphase wird ein Livestream für eine Internetübertragung vorbereitet, der zur Nachahmung inspirieren soll. Nach und nach verstummen die Gespräche und Füllmich erklärt den Ablauf des Abends, die weiteren Schritte zur Parteigründung.


EINE EINSATZHUNDERTSCHAFT POLIZEI GEGEN 28 FRIEDLICHE PARTEIGRÜNDER


Nach der Wahl des Versammlungsleiters, rund eine Stunde nach Beginn, stehen plötzlich zwei Berliner Polizeibeamte in der Tür, verweisen auf das Verbot von Veranstaltungen und fordern die sofortige Beendigung. Mehrere anonyme Anrufe seien nach Aussagen eines Beamten mit Verweis auf eine illegale Barveranstaltung eingegangen. Jetzt wird diskutiert: Füllmich verweist auf das Recht im Grundgesetz Artikel 21 zur Parteigründung, der leitende Polizist auf das Verbot von Veranstaltungen laut Infektionsschutzgesetz. Nach einem kurzen verbalen Schlagabtausch ziehen sich die Polizeibeamten zunächst zurück.


Draußen vor der Tür steht ein Aufgebot an Polizei, darunter eine Einsatzhundertschaft. Nur fünf Minuten später stürmen rund 25 Beamte die Bar, der Livestream wird ohne Ansage eines Beamten per Schlag auf die Kamera beendet und alle Teilnehmer werden lautstark aufgefordert, sich auszuweisen. Unruhe macht sich breit, es wird eng in der Bar, mittlerweile sind mehr Polizisten als Gäste im Raum, niemand darf gehen. 


Hier und da beginnen Diskussionen mit den Beamten: Über massive Einschränkungen der Grundrechte, die Notsituation vieler Menschen aufgrund der Maßnahmen, der mangelnde Diskurs der Regierung mit Kritikern. Der größte Teil der Einsatzkräfte bleibt ruhig, viele sind sehr jung, wissen oft nicht, weswegen diese Versammlung aufgelöst wird. Die aggressive Grundstimmung geht von zwei bis drei älteren Beamten aus, die mit lauter und autoritärer Stimme sprechen, den Ton angeben.


Eine halbe Stunde dauert der Einsatz, um von allen Teilnehmern Personalien aufzunehmen. Einige Besucher, die keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, müssen ihre medizinischen Atteste zeigen – die meisten werden beschlagnahmt. Ohne Begründung. Einzig ein Protokoll über den Einbehalt der Atteste bleibt den Erkrankten, die sich ab jetzt ohne Beweis im öffentlichen Leben bewegen müssen. Kurz darauf drängt die Polizei alle Gäste, die Lokalität zu verlassen. Es gebe kein schriftliches Hygienekonzept, so der Einsatzleiter der Polizei, daher müsse sofort die Veranstaltung beendet werden. Trotz mündlicher Erläuterungen seitens der Rechtsanwältin bleibt die Räumung der Bar bestehen. Innerhalb weniger Minuten leert sich diese leise, die Lichter gehen aus. Nur die Polizeiwagen stehen noch vor der Tür. Füllmich bleibt beim Abgang optimistisch: »Der Abbruch war verfassungswidrig. Wir machen weiter, nur nicht heute.«


NAZI-RUFE SCHALLEN AUS DER DUNKELHEIT, GLAS ZERBRICHT


Am Tag darauf verabreden sich die Teilnehmer erneut zur selben Zeit am selben Ort, um ihr Grundrecht auf Gründung einer Partei auszuüben – dieses Mal mit einem schriftlichen Hygienekonzept. Doch der Abend verläuft anders der zuvor. Schon von weitem schallen Rufe durch die Dunkelheit, Parolen werden geschrien: »Nazis raus!« Ein lauter Knall, Glas zerbricht, eine Frau kreischt. Ein aufgebrachter Mob von rund 20 schwarzgekleideten Menschen mit Mützen und Masken hat sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Bar versammelt. Die Rufe drohen, schreien, verunglimpfen die wartenden Parteigründer. Sie seien »rechtes Pack«, »Nazis«, sie gehörten »weggesperrt« und »geächtet«.


Vor der unbeleuchteten Bar stehen die rund 25 Demokraten in kleinen Gruppen, die Stimmung ist angespannt. Ein schlanker Mann mittleren Alters mit Schal vor Mund und Nase, der am Abend zuvor auch da war, schildert seine Eindrücke. Heute Abend sei die Stimmung seltsam, sagt er, insbesondere die Antifa-Gruppe auf der anderen Seite mache ihm Sorgen. »Dieser Hass, der auch medial gesteuert wird, entlädt sich bei uns. Wir, die für das Grundgesetz, die Demokratie und Freiheit einstehen, werden zu Nazis stigmatisiert. Das ist irre«, sagt er. »Und wir kennen einander noch nicht einmal. Wir haben nicht mal miteinander gesprochen. Woher kommt bloß dieser Hass?« Während die Rufe der Gegenseite anhalten, fährt eine Polizeikolonne vor. Die Polizisten strömen auf den Bürgersteig, verweisen die friedlichen Parteigründer des Platzes, ignorieren die Nazi-Rufe und Gewaltandrohungen, die von der anderen Straßenseite herüberschallen.


Als die Anwältin Fischer an der Bar ankommt, stehen nur noch eine handvoll Gründungsmitglieder mit dem Inhaber vor dem Eingang, die Rufe von gegenüber sind verhallt, der Mob hat sich aufgelöst. Geblieben sind eine Menge Polizisten, die sich rund um das Scotch & Sofa auf dem Bürgersteig verteilen und rigoros dafür sorgen, dass keine weiteren Passanten stehen bleiben. Ihre Ansagen sind ruppig, der Tonfall laut und bestimmt. Zur Vorlage eines Hygienekonzeptes kommt es nicht – im Gespräch zwischen Fischer und der Polizei untersagt letztere erneut die Versammlung. Eine plausible Begründung bleibt offen. Auch die Presse wird an diesem Abend an ihrer Arbeit gehindert: Ein bekannter Youtuber, der im Livestream das Gespräch filmt, wird von einem Polizisten mehrfach aggressiv zur Seite gedrängt. Während Rechtsanwältin Fischer in einer polizeilichen Maßnahme feststeckt, die Parteigründer nach Hause gehen, steht Barbesitzer Pohlen allein neben dem Eingang seiner Bar.


SOZIALDEMOKRATISCHER EINSATZ FÜRS GRUNDGESETZ


Wieder ist es ein kalter Abend in Berlin, wieder weht ein eisiger Wind. Doch heute bleiben die Lichter seiner Bar aus. Pohlen blickt auf den Boden, geht zwei Schritte nach rechts, zwei nach links. Er zittert. Seit gestern Nacht sei nichts mehr, wie es war, sagt er. Er habe Morddrohungen erhalten, seine Barbewertungen im Internet seien nach unten gedrückt worden, sein Vermieter habe ihm die Kündigung erteilt.


Auch die Polizei war vormittags schon da, Nachbarn hätten ihn darüber informiert. »Und jetzt bin ich laut Presse auch noch rechtsradikal und ein Corona-Leugner«, sagt der frühere Sozialdemokrat, Verehrer von Willy Brandt und Helmut Schmidt, und er schüttelt den Kopf. Vielmehr soziale Häme ginge wohl kaum. Aber diesen Schritt bereue er nicht. Was juristisch auf ihn jetzt zukomme, werden die nächsten Tage zeigen. Und egal wie es ausgehe, Pohlen ist sich einer Sache sicher: »Es sind zwar eisige Zeiten für die Demokratie, doch wer für diese und das Grundgesetz eintritt, der kann niemals verlieren.« 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 34 am 22. Jan. 2021




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