Interview

»Nicht allein im Widerstand«

Die Journalisten Uli Gellermann (Die Macht um acht und rationalgalerie.de) und Ken Jebsen (KenFM.de) im Sommerinterview.

Von Anselm Lenz

Die Fragen stellte Anselm Lenz, Herausgeber der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand.

Anselm Lenz: Der Sommer der Demokratie... Herr Gellermann, was verbinden Sie damit?

Uli Gellermann: Ein schöner Sonnenuntergang, der von einem wunderbaren Sonnenaufgang begleitet wird und der sagt: »Mann, das muss irgendetwas mit Europa zu tun haben. Das hat Hoffnung, das hat Zukunft.« Das wird der Sommer der Demokratie, an dem wir arbeiten.

Anselm Lenz: Am 17. Juni 2020 sind tausende Busfahrer nach Berlin gefahren. Zeitgleich sind die Leute von Extinction Rebellion mit dem Fahrrad auf Berlin zugefahren und haben ebenfalls die Siegessäule umkreist. Ist diese Form des Sternmarsches gegen das Corona-Regime aber auch andere Fragen eine gute Möglichkeit?

Ken Jebsen: Die Leser dieses Interviews sollten sich fragen, wer am Ende von den Corona-Maßnahmen am Ende betroffen sein wird. Sind es die Journalisten? Nein, die werden es nicht sein. Wir haben gerade viel zutun im alternativen Journalismus, soviel wie noch nie. Es ist der Mittelstand, also auch die Busfahrer, denen der Tourismus wegfällt. Es sind die Läden, die zumachen. All diese Menschen werden am Ende des Jahres das Problem bekommen. Sie werden in Kurzarbeit landen und sie werden auf der Straße landen. Die müssen sich die Frage stellen: »Wer denkt denn eigentlich an uns?«

Anselm Lenz: Ist das denn nicht die Regierung?

Ken Jebsen: Es gibt eine Menge Leute in der Politik und eine Menge Lobbyisten, die an die großen Konzerne denken. Mainstreamjournalisten unterstützen, dass die Politik Lufthansa, H&M und so weiter retten will. Aber es geht eigentlich um die, die dieses Land betriebsbereit halten. Und das sind wir alle, für die arbeiten wir, die kritischen Journalisten. Und wenn wir über Corona und die Folgen reden, dann nicht, weil es für uns schlecht ist. Wir haben zu tun. Wir sind die Anwälte des kleinen Mannes und des Mittelstandes. Und das muss dem Mittelstand klar werden, dass er mit uns reden kann.

Warum?

Wenn der Mittelstand kritisch mit der Politik oder den Medien sprechen möchte, wer ist denn von denen ansprechbar? Wir aber hören uns das an, weil wir genau wissen, was am Ende des Jahres dabei heraus kommen wird. Den Kleinen wird nämlich nicht geholfen, die werden abgespeist und das Geld geht an die Großen. Das weiß der Mittelstand sowie so schon seit der Bankenkrise. Und er sollte nicht darauf hoffen, dass es dieses Mal anders laufen wird. Das wird es nicht! Um das zu verhindern, wenn man das überhaupt kann, sollte man sich jetzt an die wenden, die schon da sind. Am Ende des Jahres wird man nämlich vor leeren Kassen stehen und das war es dann für einen. Wer jetzt taktisch denkt: Ich warte jetzt mal wie die Regierung am Ende für mich noch übrig hat. Da kann ich jetzt schon sagen, nämlich genau das, was man auch bei der Bankenkrise übrig hatte. Man hat die großen Banken gerettet, die systemrelevanten und jeder, der ein kleines Geschäft hat, einen Busbetrieb oder eine Gärtnerei sollte sich fragen, ob er in der Regierung unter systemrelevant geführt wird. Und wenn die Antwort darauf nein lautet, dann würde ich mir jetzt überlegen, was ich jetzt tun kann. Ob ich jetzt mit Leuten sprechen kann, die sich für meine Interessen einsetzen. Und da gehören Journalisten dazu.

Anselm Lenz: Herr Gellermann, Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und Mittelständler stehen jetzt geeint unter Druck?

Uli Gellermann: All diejenigen stehen jetzt unter Druck, die nicht ganz oben sind. Wir müssen im ersten Schritt, unter Bedingungen des Corona-Regimes, fragen nach arm und reich. Wir müssen fragen, wer sitzt an den Schlüsselpositionen? Wer verordnet das Stillhalten? Wer fordert das Schweigen in diesem Moment? Wer profitiert davon? Das sind auf jeden Fall nicht Mittelständler, kleine Leute, Arbeiter und Angestellte. Es gibt eine breite Einheitsfront im sozialen Bereich.

Anselm Lenz: Todesängste scheinen ja jetzt weit verbreitet zu sein. Gleichzeitig scheint sich aber auch eine Erlösungssehnsucht ausgebreitet zu haben, als würde uns über Corona die Krone jetzt aufgesetzt werden. Als würde man jetzt eine besondere Erleuchtung haben. Als würden wir jetzt in eine besondere Zukunft geführt werden, die dann besser werden würde. Wie ist so etwas auch sozialpsychologisch zu erklären?

Uli Gellermann: Den Leuten wird ja eingeredet, es gehe ihnen richtig schlecht, alle stürben oder würden ganz krank werden, es werde alles ganz schrecklich werden. In solch einer Situation fangen die Leute an, gläubig zu werden. Manch einer rennt in die Kirche, der andere fragt seinen Yoga-Lehrer, der andere sagt: »Mann ey, das Ganze könnte auch ganz anders werden.« Es gibt also Erleuchtungssmomente aus Hoffnungslosigkeit. Die einzige Hoffnung scheint zu sein, dass es vielleicht anders wird. Aber, wer sich nicht wehrt, wird festellen, dass nichts besser wird.

Anselm Lenz: Wer sind die relevanten Medien jetzt, die zur Aufklärung von Corona beitragen, oder die zumindest zu einer Auswiegung anregen?

Ken Jebsen: Da gehört natürlich der Demokratische Widerstand dazu als Printmedium. Das ist eine Riesenleistung, dass man Papier auf die Straße bringt. Ehrlich, da muss ich sagen: Respekt! Denn diese Zeitung wird ja jede Woche neu organisiert, neu finanziert und es sind viele Hände, die das machen. Und ich finde es toll, dass Euch überall in den Regionen, die Leute das Zeug aus den Händen reißen. Es gibt also einen Bedarf. Das ist schonmal das Erste.

Anselm Lenz: Danke, aber wir sind ja nicht ganz alleine?

Ken Jebsen: Natürlich gehören noch der Rubikon und die Nachdenkseiten dazu. KenFM gehört auch dazu. Auch die Jungs von activism-munich. Aber das sind nur die Großen. Es gibt aber auch die vielen kleinen Kanäle, die das pushen. Es gibt viele, die das teilen. Mit dem privaten Twitter-Account, auf Instagram. Es sind die Leute, die dazu beitragen, dass dieser Traffic generiert wird. Ich gehe davon aus, dass wir ein paar Millionen Menschen sind. Wir sind weit davon entfernt, eine Splittergruppe zu sein. Ich glaube, wir erreichen zehn bis 15 Prozent, teils sogar der konservativen Bevölkerung, auch wenn die sich nicht immer so zu Wort melden.

Uli Gellermann: Ken Jebsen hat völlig recht. Wir sind keine Splittergruppe. Aber, wir sind noch sehr versplittert. Es gibt ganz viele Leute im Netz, die an ihrem ganz kleinen Tau ziehen. Die ein Video produzieren, die empört sind und die ihre Wut und ihre Empörung über Videos und über Text artikulieren. Es sind Hunderte und Tausende, die das machen. Aber es gibt noch keinen guten zentralen Punkt. Wir beginnen erst. Wir alle beginnen erst. Das macht Ken, das macht Anselm, das machen viele. Wir versuchen es, aber wir brauchen die Zusammenführung der ganz Vielen, damit wir nicht Splitter bleiben, damit wir ein großes Ganzes werden, dass den Widerstand leistet.

Ken Jebsen: Das war bei den Mahnwachen genau so. Die große Leistung des Systems, das uns gegenübersteht, ist, dass es verhindert, dass wir unsere Kräfte zusammenbringen. Wir müssen erkennen, dass wir in derselben Sache unterwegs sind. Und diese Sache ist das Notstandsregime mit den Notstandsregeln, die jetzt gerade als alternativlos dargestellt werden. Uns allen will man einreden, es müsse alles so sein. Aber es müsste eben nicht alles so sein!

Anselm Lenz: Verblendung?

Ken Jebsen: Die Leute, die uns dahin gebracht haben, die sollen uns auch daraus führen? Die selben Leute? Nein, wer glaubt, dass diese Regierung unsere Anwälte seien, der ist einfach nur bescheuert. Es könnte nämlich wirklich alles ganz anders sein, aber nur wenn man anfängt, Demokratie als das wahrzunehmen, was es auch wirklich ist: Eine Herrschaft von unten nach oben und nicht umgedreht.

Anselm Lenz: Eine Demonstration für das Grundgesetz?

Ken Jebsen: Wenn ganz viele auf die Straße gehen, dann sind wir nicht gegen etwas, sondern wir sind für etwas, nämlich, dass man uns hört. Und dass man nicht immer nur die selben Experten hört, die sagen, »Du bist ja gar kein Experte!« Diese ganzen Profis haben uns dahin geführt, wo wir heute sind. Also so richtig professionell sind die ja nicht. Das zeigt ja eben, wo wir heute stehen. Man soll Menschen ja an ihren Taten messen und was ist denn das? Wir haben ja in diesem Land noch nicht einmal genügend Masken gehabt, die mussten wir dann aus China einfliegen lassen. Das ist eine ahnungslose Truppe und ich traue den eben nicht und ich denke mir in der Krise auch nicht, diejenigen, die uns da hinein gebracht haben, die werden uns da wieder heraus führen. Das war übrigens noch nie so.

Anselm Lenz: Eine Abschlussfrage. Wir werden jetzt in regelmäßigen Abständen den Preis der Republik verleihen für besondere Verdienste der Aufklärung, für die Republik und für Demokratie. Der erste Preis geht an Stephan Kohn aus dem Innenministerium, derzeit beurlaubt. Habt ihr ein freundliches, oder vielleicht gar ein unfreundliches Wort, über die Person Stephan Kohn?

Ken Jebsen: Ich finde es super. Es ist immer schwierig, wenn man noch immer irgendwie verortet ist im Establishment und sich von dort aus heraustraut. Er macht jetzt auf eine andere Weise genau das, was Edward Snowden gemacht hat. Er erkennt, dass das Team, auf das er lange gesetzt hat, dass er da von Lügen umgeben ist. Er traut sich, das zu sagen. Das hätte er ja nicht machen müssen. Er hätte auch sagen können, dass er die Papiere ja veröffentlicht habe und damit seine Schuldigkeit getan hätte. Nein, er wagt sich aus der Deckung, von dort aus gibt es keine Rückkehr mehr. Das ist nicht hoch genug zu bewerten. Ich finde das super und ich erwarte das übrigens von mehr Leuten, die sagen, ich schweige nicht mehr mit. Es gibt ja diesen Ausspruch von Martin Luther King. »Es gibt eine Zeit, da wird Schweigen Verrat.« Das ist genau der Punkt. Wer heute schweigt, wider besseren Wissen, weil er Angst hat in den Fokus zu geraten, der verrät sein Land, der verrät die Demokratie und die Zukunft seiner Kinder. Und wer das eben nicht tut, der hat Demokratie verstanden, denn die ist nicht ohne Restrisiko zu haben. Irgendwo ist der Punkt, wo man nicht mehr mitmachen kann und wenn man das eben nicht tut, dann hat man aus dem Dritten Reich nichts gelernt. Dieser Mann hat aus dem Dritten Reich gelernt, hat die Stunde der Bewährung erkannt und ist aus der Deckung getreten.

Uli Gellermann: Wer schweigt, stimmt zu. Wir stimmen nicht zu. Es werden immer mehr. Und wer sich aus der Deckung wagt, wer seinen zivilen Ungehorsam gegen seinen Minister beweist, der hat einen Preis verdient und der hat die Demokratie verdient. Man erwirbt sich die Demokratie nur mit eigenem Mut.

Anselm Lenz: Herr Gellermann, Herr Jebsen, danke für das Gespräch.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 11 am 10. Juli 2020




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