Normalerweise beschäftigen wir Historiker uns mit mehr oder weniger weit zurückliegenden Epochen der Menschheitsgeschichte. Normalerweise beschäftigen wir uns nicht mit der Gegenwart – das ist nicht unser Geschäft. Unser Blick ist ins Gestern gerichtet, während das Heute in der Regel außerhalb unseres fachlichen Wahrnehmungshorizontes liegt.
Doch was passiert, wenn wir selbst uns plötzlich an einem Punkt der Geschichte wiederfinden, der eine Zeitenwende zu markieren scheint? Was, wenn die Ereignisse undEntwicklungen in Politik, Wissenschaft, Gesellschaft sich plötzlich überschlagen, sich verdichten – ja, die Welt, wie wir sie kannten, vor unser aller Augen dabei ist, eine andere zu werden, vielleicht für immer?
Sind dann nicht auch wir gefragt, Entwicklungen einzubetten, den Kontext zu sehen, in dem sich Veränderung vollzieht? Und wenn schon nicht als Fachleute und Wissenschaftler, so doch als Zeitzeugen und als Bürger?
In den vergangenen Monaten haben sich Praktiker und Forscher aus den verschiedensten Gesellschaftsbereichen zu Wort gemeldet, sie haben Initiativen gegründet und sich zusammengeschlossen, weil sie erkannt haben, dass das Narrativ, welches Politik und Massenmedien uns weitgehend unisono seit März dieses Jahres als Begründung und Rechtfertigung der aktuellen Krise anbietet, so nicht stimmen kann.
Wissenschaftler und Mediziner aus allen Ecken der Welt haben von Beginn an darauf hingewiesen, dass die auf breiter Front erzeugte und mit allen Mitteln aufrechterhaltene Panik in der Bevölkerung weit überzogen ist und einer wissenschaftlichen und unvoreingenommenen Tatsachenüberprüfung nicht standhält. Ich nenne hier nur die Namen Dr. John Ioannidis, Prof. Dr. John Oxford, Prof. Hendrik Streeck, Prof.em Knut Wittkowski, Prof.em Karin Mölling. Diese Liste ließe sich um hunderte Namen fortsetzen.
Ende Juni veröffentlichten mehr als 500 internationale politische und zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivisten, darunter 13 Nobelpreisträger und 62 ehemalige Staats- und Regierungschefs, einen offenen Brief, in dem sie vor der Gefahr der aktuellen Anti-Corona-Maßnahmen für die Demokratie in Ländern überall auf dem Globus warnten. Sie rufen darin dazu auf, die Demokratie zu verteidigen gegenüber Regierungen, die durch Notstandsverordnungen Menschenrechte einschränken und staatliche Überwachung intensivieren, ohne dies gesetzlich einzuhegen oder kontrollieren zu lassen und ohne einen Zeithorizont für die Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung bereitzustellen.
Und, das ist mir besonders wichtig, hinzuzufügen, auch die Freiheit der veröffentlichten Meinung erlitt in den vergangenen Monaten schweren Schaden: Die sich selbst als solche bezeichnenden „Qualitätsmedien“ schrumpften auf eine regierungskonforme Einheitsmeinung zusammen und publizierten mitunter Kommentare, so geschehen etwa im Spiegel und in der Neuen Ruhr Zeitung, die m. E. hart an der Grenze des Straftatbestands der Volksverhetzung stehen.
Das sind Entwicklungen, die nicht nur in irgendwelchen „Bananenrepubliken“ in der sogenannten Dritten Welt stattfinden. Das sind Entwicklungen, die nicht nur in unseren Lieblings-Schurkenstaaten Russland, China oder Türkei geschehen – nein, dies passiert auch hier, mitten in Europa, hier in Deutschland!
Es gibt Gott sei Dank mutige Menschen, die diese Gefahren erkannt haben und die das regierungsoffizielle Narrativ hinterfragen. „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ um Prof. Sucharit Bakhdi, die „Ärzte für Aufklärung“ mit Dr. Walter Weber, Heiko Schöning und anderen haben sich zusammengefunden, die „Anwälte für Aufklärung“ um Markus Haintz, mittlerweile auch die „Lehrer für Aufklärung“. Die Stiftung Corona-Untersuchungsausschuss ist in diesen Tagen und Wochen dabei, auf außerparlamentarischem, juristischem Wege aufzudecken, was schiefgelaufen ist und weiterhin schiefläuft im Krisenmanagement der Bundes- und Landesregierungen. Ein weiterer Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss mit Dr. Bodo Schiffmann und anderen verfolgt ein ähnliches Ziel aus der Warte von Medizinern.
Und jetzt komme ich zurück zu meinen Kollegen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, und besonders zu den Historikern.
Liebe Kollegen, bitte wendet das, was ihr im Hinblick auf das Studium von Quellen vergangener Zeiten gelernt habt, auch auf das Studium der Tagesschau, der Zeit, der Frankfurter Allgemeinen, der taz an! Ihr habt als Fachleute gelernt, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit geformt und beeinflusst werden kann und wird unter anderem durch das Was und Wie dessen, was uns in Zeitungen, Fernsehen und Internet präsentiert wird. Ihr habt gelernt, dass es zu jeder fachlichen Frage, zu jedem Problem, egal auf welchem Gebiet, immer mindestens zwei Ansichten, Einschätzungen, Meinungen gibt – und dass der offizielle Standpunkt einer Regierung, die von einer Vielzahl eigener Interessen und Motive geleitet wird, niemals der einzige oder einzig wahre Standpunkt ist.
Frau Merkel, Herr Spahn, Herr Söder – sie erzählen uns, dass der Schutz vor einem Virus Maßnahmen und Einschnitte rechtfertigt, wie es sie in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben hat. Der Zweck scheint alle Mittel zu heiligen. Für den Schutz vor einem Virus mit einer in zahlreichen internationalen Studien nachgewiesenen Letalität von rund 0,2% werden in Deutschland zigtausende Existenzen geopfert, Kinder und Alte ihrer Rechte beraubt, kehren Obrigkeitsstaatlichkeit und Denunziantentum, Misstrauen und vor allem Angst in unsere Gesellschaft ein.
Das Narrativ lautet: Es geht um den Schutz der Gesundheit. Laut RKI sind bis Anfang Augustca. 9.200 Menschen „im Zusammenhang mit COVID-19“ verstorben, wie das RKI selbst dies kürzlich formulierte. Denn in der Tat weiß in den meisten Fällen niemand so genau, woran diese Menschen wirklich starben – die weit überwiegende Mehrheit der Verstorbenen warbereits sehr alt und sehr krank, auch ohne Corona.
Liebe Historiker, ihr habt wahrscheinlich während eures Studiums gelernt, dass man Zahlen immer im Verhältnis betrachten muss. Absolute Zahlen sagen herzlich wenig aus. Was bedeuten 9.200 „im Zusammenhang mit COVID-19“ Verstorbene?
Ich will euch für die Kontextualisierung ein paar weitere Zahlen nennen:
Jedes Jahr sterben in Deutschland 320.000 Menschen an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Hälfte davon, also 160.000, aufgrund von krankhaftem Übergewicht.240.000 Menschen sterben jedes Jahr an Krebs. Unter den Todesfällen durch Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen entfallen etwa 140.000 auf Raucher. Durch Alkoholmissbrauch sterben zusätzlich jedes Jahr ca. 74.000 Menschen.
Wenn es der Regierung also nur um unser aller Gesundheit geht, warum hat sie dann bisher nicht mehr dafür getan, dass die Menschen weniger trinken, weniger rauchen, sich mehr bewegen und sich gesünder ernähren? Wie viele hunderttausende Leben könnten so jedes Jahr gerettet werden?
Aber wenn es nicht um Gesundheit geht, worum geht es dann?
Die Antwort ist: Ich weiß es nicht.
Aber wenn das Studium der Geschichte uns etwas lehren kann, dann, dass Regierungen und dass auch die Medien nicht immer ehrlich mit uns sind. Dass sie nicht immer die ganze Wahrheit sagen. Erinnern wir uns bitte nur kurz an die Brutkastenlüge am Beginn des ZweitenGolfkriegs, an die Lüge von den Massenvernichtungswaffen als Vorwand für den Irakkrieg. Oder erinnern wir uns an die legendären Worte von Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. , Ja, Politiker und Medienvertreter lügen schon mal, und gerade wir Historiker sollten das eigentlich besser wissen als manche andere.
Unbestritten ist es, dass es Interessenskonflikte gibt. Dass es Lobbyismus gibt und Partikularinteressen. Dass es mitunter sehr enge Verbindungen gibt zwischen Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auf der einen und Wirtschaftsvertretern auf der anderen Seite. Man nennt das auch Korruption.
Und vor allem zeigt uns ein Blick in die Geschichte, dass es zwei sehr einfluss- und folgenreiche Sehnsüchte gibt auf dieser Welt: Macht und Geld, oder anders ausgedrückt: Es ist das Phänomen, dass jene, die Macht besitzen, dazu neigen, nach noch mehr Macht zu streben und jene, die vermögend sind, dazu tendieren, nach noch mehr Reichtum zu streben – und dass ethische oder soziale Rücksichten und Erwägungen dabei sehr oft nicht die geringste Rolle gespielt haben. Man könnte schon sagen, es ist ein universales und beinahe zeitloses Phänomen.
Stellen wir uns jetzt einmal in einem Gedankenexperiment vor, es gäbe Interessensgruppen, denen daran gelegen wäre, Macht, Einfluss und Reichtum, an welchen sie zu partizipieren und von welchen sie zu profitieren hoffen, auf Kosten vieler, vieler anderer zu vergrößern.
Diese vielen anderen – das sind im Wesentlichen wir, die Bevölkerung, die wir in der Regel über eine sehr begrenzte Menge an politischen und finanziellen Ressourcen verfügen – werden damit natürlich nicht einfach so einverstanden sein. Dafür braucht es schon einen sehrguten Grund. Etwas, womit man die Vielen nicht nur gefügig machen und still halten kann, sondern auch etwas, das sie so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass sie ohne größere Gegenwehr dazu bereit sind, so gut wie alles mit sich machen zu lassen.
Was wäre dafür wohl geeignet? Ein Krieg vielleicht. Oder eine böse Krankheit – also ein Krieg gegen ein Virus?
Das Erzeugen von Angst ist seit langem eine gern eingesetzte Herrschaftstechnik.
Ich zitiere hier Rainer Mausfeld aus seinem Buch „Angst und Macht“ (veröffentlicht 2019, also vor Corona):
„Der Verdeckung eigener Ziele und Absichten dient eine Angsterzeugung durch propagandistische Deklaration einer großen Gefahr X, der die Bevölkerung durch einen ‚Kampf gegen X‘ entschlossen entgegentreten müsse. […] Durch die propagandistische Ausrufung eines ‚Kampfes gegen X‘ lassen sich in ‚kapitalistischen Demokratien‘ gleichzeitig mehrere von den Zentren der Macht gewünschte Ziele erreichen: Zum einen wird der für Machtzwecke nutzbare Rohstoff ‚Angst‘ produziert, zudem lässt sich die Aufmerksamkeit sehr wirksam auf Ablenkziele richten, und schließlich lassen sich unter dem Vorwand eines Kampfes gegen X demokratische Strukturen abbauen und auf allen Ebenen der Exekutive und Legislative autoritäre Strukturen etablieren.“
Noch werden so gut wie alle, die es wagen, mit Kritik oder auch nur mit Fragen am offiziellen Narrativ, das uns wieder einmal als „alternativlos“ präsentiert wird, an die Öffentlichkeit zu gehen, diffamiert mit Begriffen wie „Verschwörungstheoretiker“ und ähnlichem.
Wahrscheinlich verwundert es deshalb kaum, dass im deutschen Sprachraum bisher nur eine Handvoll Geistes- und Sozialwissenschaftler es wagten, das Narrativ des politmedialen Mainstreams öffentlich zu hinterfragen.
Zu groß ist wahrscheinlich die Angst, sich durch Kritik an jenen, die gewählt wurden, um die Interessen des Volkes zu vertreten, und durch Kritik an der raison d‘ȇtre der Notstandsexekutive zu exponieren, sich womöglich zu blamieren. Zu groß ist vermutlich die Angst vor dem Shitstorm der Rechtgläubigen. Der wissenschaftliche Mittelbau bangt um die Verlängerung seiner Zeitverträge, um die Bewilligung des nächsten Drittmittelprojekts, um seine Aufstiegschancen. Die Doktoranden wollen es sich nicht mit ihren Doktorvätern und -müttern verscherzen, die Professoren nicht mit den Institutsleitern und mit ihren Studenten.
Zum Schluss habe ich noch eine Bitte:
Liebe Historikerkollegen, kommen wir im Heute an!
Gesellschaftliche Errungenschaften, wie sie seit dem Zeitalter der Aufklärung, wie sie im Gefolge der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, des Code Napoléon, der Arbeiterbewegung und der Friedens- und Abrüstungsbewegung über die Jahrhunderte oft hart erkämpft wurden, dürfen nicht mit einem Federstrich in Frage gestellt, eingeschränkt oder beschädigt werden.
Kein Virus dieser Welt rechtfertigt den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Einschränkung von Meinungsfreiheit, den Ausbau staatlicher Überwachung, die Einführung oder Verschärfung von Formen der Zensur.
Geben wir nicht unsere Rechte und Freiheiten, für die Generationen vor uns gerungen und oft genug mit ihrem Leben dafür bezahlt haben, so willfährig aus der Hand, weil man uns Angst macht mit einem Bedrohungsszenario, das einer objektiven Überprüfung nicht standhält.
Kann ich mich in meiner Einschätzung, in meinen Schlussfolgerungen irren? Ja, natürlich!
Aber was ist schlimmer: Einmal zu oft für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gesprochen zu haben – oder einmal zu wenig?