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Ein Kohn für alle Fälle — Preisträger der Republik

LAUDATIO zur Verleihung des Preises der Republik für Aufklärung, Courage, freie Debatte, Grundgesetz und Demokratie.

Von einem Freund Kohns

Stephan Kohn ist Ministerialbeamter im Bundesinnenministerium, Referat Krisenmanagement 4, zuständig für Bevölkerungsschutz. Der studierte Politologe legte in einer 192-seitigen fachlichen Einschätzung seine Kritik am Notstandsregime dar.

In dem umfassenden Bericht »Coronakrise 2020 aus Sicht des Schutzes Kritischer Infrastrukturen« setzt er die Gefährlichkeit des Virus ins Verhältnis zu den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen der Maßnahmen (siehe Demokratischer Widerstand N°5 vom 16. Mai 2020, Seite 13 — und rubikon. news/artikel/gefahr-im-verzug).

Kohn kommt darin zu dem Schluss, dass gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements stattgefunden hätten, bisheriges Wissen über Kollateralschäden völlig außer Acht gelassen wurde. Die negativen Folgen der Maßnahmen werden deren Nutzen eklatant übersteigen. Kohn bemühte sich innerhalb seines Ministeriums, mit seinem Fachreferatsbericht Gehör zu finden, hielt alle Dienstwege und Fristen ein. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wies den Sozialdemokraten alter Schule immer wieder zurück. Schließlich gelangte der Bericht aus einem anderen Ministerialbüro an die Öffentlichkeit.

Kohn erhält den Preis der Republik — für Aufklärung, Courage, freie Debatte, Grundgesetz und Demokratie.

Verliehen wird der Preis erstmals vom K.D.W. e.V., dem Trägerverein dieser Wochenzeitung, in Form einer Medaille am Band und eines Porträts. Ausgewählt wurde Kohn als erster Preisträger vom Redaktionsrat — einstimmig. Die Medaille wird am Tage des Erscheinens dieser Wochenzeitung persönlich übergeben. In einem Interview kann sich Kohn, mit dem die Redaktion in Kontakt steht, nicht äußern. Ebenso ist aus dienstrechtlichen Gründen unklar, ob Kohn die Medaille offiziell entgegennehmen darf. — * Der Autor ist der Redaktion bekannt.


Es ist einiges über die Person Stephan Kohn spekuliert und verbreitet worden. Dabei sind pauschal abwertende Begriffe gefallen wie Wirrkopf, durchgeknallter Typ und Spinner. Andere betrachten sein Handeln als Heldentat und bringen ihm Dank und Anerkennung entgegen.

Da er sich selbst nicht äußert, bleibt er für die meisten ein Phantom, über das die Öffentlichkeit noch zu wenig weiß, um sich ein Gesamtbild machen zu können. Das möchte ich ändern und veröffentliche deshalb hier diesen Text.

Als Hinweis: Alle folgenden Punkte könnten die bezahlten Journalisten bei einer kleinen Internetrecherche durchaus selber finden. Es sind allesamt Hinweise, die es lohnend erscheinen lassen, sich mit ihm und seiner Arbeit näher zu befassen.

Kohn hat an verschiedenen Stellen positive Impulse in die Gesellschaft gegeben — für Gerechtigkeit und ehrliches Miteinander. So im Bezug auf die Kirchen, die heute noch vielfach an Strukturen festhalten, die über Jahrzehnte Missbrauch möglich gemacht haben und das Vertuschen der Taten erleichterten.

Kirchen, für die Verantwortungsübernahme für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor allem aus schönen Worten besteht, wenn diese aus den eigenen Reihen begangen werden. Kirchen, die zu angemessener Kompensation der Opfer nicht bereit sind.

Das erforderte bereits großen Mut: Kohn sprach offen über den sexuellen Missbrauch durch Pfarrer. Er selber war als Kind missbraucht worden — und auch ihm nahestehende Menschen. Ein betreffender Pfarrer war zudem noch sein Stiefvater, was diese Enthüllung umso schwieriger machte.

Kohn engagiert sich nicht nur für seine eigene Geschichte und die seiner Familienangehörigen, sondern auch für andere Betroffene aus seiner Heimatstadt Ahrensburg. Auf Bundesebene haben er und sein Bruder Anselm mit ihrer Betroffeneninitiative Missbrauch in Ahrensburg (MiA), immer wieder substanzielle fachpolitische Stellungnahmen abgegeben und Verbesserungen der rechtlichen Rahmenbedingungen eingefordert. Dies oft in enger Zusammenarbeit mit anderen Betroffenengruppen.

Auch während der Corona-Zeit wird der Ruf immer lauter, der Staat möge sich konsequenter um die Missbräuche kümmern und wirksam handeln. Kohn forderte bereits im Herbst 2019 die Einrichtung einer Art »Gauck-Behörde für Missbrauch«.

Zuletzt äußerte er sich kenntnisreich zu dem 11-Punkte Programm der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) vom November 2019 und forderte eine kirchenunabhängige Aufklärung und Aufarbeitung bekannt gewordener Fälle. Als guter Kenner auch der Verhältnisse in der katholischen Kirche erweist er sich in seinem Kommentar zu Christoph Röhls Film über Papst Benedikt XVI aus dem letzten Jahr. Darin verweist er auf die für Betroffene freundlichere Vorgehensweise der Katholischen Kirche in Irland, hinter der die Deutsche Bischofskonferenz bisher noch weit zurückbleibt. All diese Informationen sind auf der Website des Betroffenenverbands (MiA) www.der-ahrensburger-fall. de zu finden.

Was Stephan Kohn anfasst, macht er gründlich. Das merkt man auch seiner Aufarbeitung des Corona-Krisenmanagements an. In seiner Analyse trägt er eine Fülle von Indizien akribisch zusammen, unterwirft alle relevanten Aspekte einer umfassenden Plausibilitätsprüfung oder stellt gleich eine eigene Gegenrechnung an.

Er zeigt aber auch Verständnis für Schwächen und Fehler im menschlichen Bereich. Dass vom Krisenmanagement einer Pandemie Fehler gemacht werden, sei angesichts des seltenen Auftretens und der begrenzten praktischen Erfahrungen der handelnden Akteure mit dieser Gefahrenlage nicht überraschend und auch niemandem vorzuwerfen. Es käme eben darauf an, Defizite und Fehlleistungen zu erkennen, sie einzuräumen und das eigene Handeln im Interesse des Gemeinwohls daran neu auszurichten.

Anstatt sich jedoch mit Stephan Kohns gehaltvollen Feststellungen und Anregungen auseinanderzusetzen, kritisiert die Behörde das Briefpapier, auf dem es geschrieben steht, und dass der Autor keinen ausdrücklichen Auftrag für seine Analyse erhalten hätte. Als ob eine kritische Analyse eine Auftragsarbeit sein müsste.

Analysen auf Eigeninitiative werden dabei teilweise durchaus honoriert, wie man auf der Internetseite des Budnesministeriums des Inneren an dem nachträglich veröffentlichten Strategiepapier »Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen« sehen kann. Dieses Papier wurde auch erst offiziell gemacht, als es bereits einige Zeit geleakt war und Diskussionen in den Medien ausgelöst hatte.

Herr Seehofer sollte über seinen Schatten springen und sich den konstruktiven Beitrag von Stephan Kohn ebenso zu eigen machen. Ungeschehen machen kann man ihn ohnehin nicht mehr, da die Erkenntnisse der Analyse sich auf Dauer nicht unterdrücken lassen. Oder will man lieber einen Märtyrer der Vernunft der Moderne produzieren?

Stephan Kohn ist langjähriges SPD-Mitglied; einige Medien hatten darüber berichtet, dass er sich 2018 um den Parteivorsitz bemühte. Auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Ansinnen für ein einfaches Parteimitglied. Über eine wayback machine ist ein Teil des Inhalts seiner SPD Aktions-Website noch rekonstruierbar.

Sein Bruder Anselm Kohn veröffentlichte dort 2018 einen Fotobericht über die gemeinsame Teilnahme an einer SPD-Regionalkonferenz in Potsdam, auf der auch Andrea Nahles sprach. Der Bericht offenbart sowohl beispielhaft den desolaten Zustand der SPD, als auch die Motivlage von Stephan Kohn.

Stephan Kohn wollte eine echte Erneuerung seiner Partei, die die Parteiführung ihrer Basis, trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse, versagte. Kohn gründete ein »SPD-Zukunftsnetzwerk«, dessen Ziele keinesfalls wirr wirken. Sie zeigen vielmehr ein ernsthaftes und durchdachtes Bemühen, seiner eigenen Partei in einem demokratischen Diskussionsprozess wieder auf die Beine zu helfen.

Und obwohl die Partei einen anderen Weg gegangen und im eigenen Schlamassel versunken ist, und trotz der öffentlichen Anfeindungen von Seiten seines Ortsvereinsvorsitzenden nach Bekanntwerden seines Corona-Papiers, hat Stephan Kohn seine Partei nicht verlassen.

Wie in den Leitmedien aus einer demokratisch engagierten und am Gemeinwohl orientierten Person ein durchgeknallter Typ mit Amtsanmaßungstendenzen gemacht wird, zeigt einmal mehr, dass der größte Teil der Medien seine Funktion offenbar darin sieht, Sichtweisen und Interessen der Regierenden auf gänzlich undemokratische Weise auf die Bevölkerung zu übertragen.

Ich schlage vor, dass sich jeder seine eigene Meinung bildet. Dazu müssten die Medien ihrem neutralen Informations- und Bildungsauftrag gerecht werden und ihre Meinungskommentare deutlicher von der Sachberichterstattung absetzen. Um eine solche fundierte Meinungsbildung zu ermöglichen, habe ich diesen Text verfasst.


Hinweis: 

Der erstmalige Preisträger der Republik, Bundesministerialbeamte Stephan Kohn (SPD) bittet die DW-Redaktion, darauf hinzuweisen, dass er einzig aus dienstrechtlichen Gründen den Preis derzeit nicht annehmen kann. Dem kommen wir hiermit nach.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 10 am 26. Juni 2020




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