Am 15. April 2025 haben sich nach dreieinhalb Jahren die WHO-Mitgliedsstaaten (ohne die USA) auf einen Text zum Pandemievertrag geeinigt (DW berichtete u.a. in Ausgabe 211). Von den früheren Fassungen blieb wenig übrig. Im Mai 2025 wird beider Weltgesundheitsversammlung über den neuen Text abgestimmt. Er bedarf der Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder. Danach soll der Vertrag von den Mitgliedländern nach eigenen Regeln ratifiziert werden. Wenn 60 Staaten den Vertrag ratifiziert haben, tritt er für diese 60 Staaten in Kraft. Für die restlichen Mitgliedsstaaten gilt dies erst, wenn sie ihre Ratifizierungsurkunde beider WHO hinterlegt haben.
Die Frage stellt sich automatisch: Wozu ist ein Pandemievertrag noch notwendig, wenn es doch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) gibt, die kürzlich zu Gunsten der WHO verändert wurden? Die Antwortlautet, dass die WHO mit oder ohne Pandemie immer die erste Geige im Gesundheitswesen spielen möchte. Der WHO-Generaldirektorsoll über die Weltgesundheit herrschen. Die IGV regeln nur die Zeit während einer Pandemie. Das ist für die WHO und die Pharmaindustrie zu wenig. Deshalb soll auch ein Pandemievertrag kommen, der die Zeit zwischen den Pandemien regelt.
Das Problem bei den Verhandlungen war immer, dass die Staaten ihre Souveränität nicht abgeben wollten. Deshalb wurde vieles in dem ursprünglichen Text geändert. Das Wörtchen »shall« (dt.: soll) wurde an den meisten Stellen mit anderen Wörtern oder mit »should« (dt.: sollte) ersetzt. Das ist wichtig, denn »shall« hätte immer bedeutet, dass die Regeln für die Nationen verpflichtend zu befolgen gewesen wären. In dem neuen Text werden auch die örtlichen Gegebenheiten und Ressourcen neben dem innerstaatlichen Recht berücksichtigt. Das bedeutet, dass der Vertrag die Staaten momentan noch nicht bindet, obwohl es sich um einen »rechtsverbindlichen« Vertrag handelt.
Die WHO erklärt in ihrem Statement zu der Einigung, dass der Text »die Souveränität der Länder, Fragen der öffentlichen Gesundheit innerhalb ihrer Grenzen zu regeln«, respektieren würde. Zudem sei »keine Bestimmung des Abkommenentwurfs so auszulegen, dass sie der WHO die Befugnis verleiht, nationale Gesetze oder Politiken anzuordnen, zu ändern oder vorzuschreiben oder Staaten zu beauftragen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel Reisen zu verbieten oder zuzulassen, Impfverpflichtungen oder therapeutische oder diagnostische Maßnahmen aufzuerlegen oder Abriegelungen vorzunehmen«. Mit dieser Erklärung gibt die WHO zu, dass solche Pläne durchaus im Raum standen, die die meisten Menschen seit der Pandemie noch in Erinnerung haben, obwohl man es damals als »Verschwörungstheorie« abgetan hatte.
Souveränitätsgarantie mit Hintertür
Unter Punkt 9 des Pandemievertrags befindet sich schon auf der ersten Seite eine Souveränitätsgarantie. Jedoch mit einer möglichen Hintertür: »In der Erkenntnis, dass entschlossenes Handeln erforderlich ist, um sowohl die Prävention, die Bereitschaft und die Reaktion auf eine Pandemie zu verstärken als auch den gerechten Zugang zu pandemiebezogenen Gesundheitsprodukten zu verbessern, sowie in der Erkenntnis, dass es wichtig ist, keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Prävention, die Bereitschaft und die Reaktion beeinträchtigen, wobei das Recht der Staaten zu achten ist, Gesundheitsmaßnahmen im Einklang mit ihrem einschlägigen nationalen Recht und ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen durchzuführen, und unter Hinweis auf den Beschluss SSA2(5) der Weltgesundheitsversammlung.« »Ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen« könnte man in der Zukunft so deuten, dass internationales Recht über nationalem Recht steht. Damit könnte die WHO ihre Vorstellung eventuell doch durchsetzen. Also muss man da abwarten.
Auf jeden Fall sind sich die Staaten in der Ausübung von Zensur vollkommen einig. Unter Punkt 15 steht: »Anerkennung der Bedeutung des Aufbaus von Vertrauen und der Gewährleistung eines rechtzeitigen Informationsaustauschs, um Fehlinformationen, Desinformation und Stigmatisierung zu verhindern.«
Auch Klimawandel lässt Spielraum für restriktive Maßnahmen
Auch der Klimawandel wurde unter Punkt 19 in den Pandemievertrag aufgenommen. Das bedeutet, dass die WHO und ihre Mitgliedsstaaten für restriktiven Maßnahmen auch den Klimawandel benutzen können. »In Anerkennung der Bedeutung und der Auswirkungen wachsender Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit wie Klimawandel, Armut und Hunger, fragile und gefährdete Situationen, unzureichende medizinische Grundversorgung und die Ausbreitung der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel.«
In dem Vertrag wird viel über Überwachung, Risikobewertung, verstärkte Immunisierungsprogramme usw. geschrieben, ohne dass konkrete Anforderungen den Mitgliedstaaten auferlegt werden. Es wird eine Reihe von Zielen aufgelistet, die zum jetzigen Zeitpunkt noch freiwillig sind. Man kann nur hoffen, dass sie auch so bleiben.
Erfolg für Vertragskritiker
Artikel 24 kann man auf jeden Fall als großen Erfolg der Vertragskritiker werten: »Keine Bestimmung des WHO-Pandemieabkommens ist so auszulegen, dass sie dem WHO-Sekretariat einschließlich des WHO-Generaldirektors die Befugnis verleiht, die nationalen und/oder innerstaatlichen Rechtsvorschriften bzw. die Politik einer Vertragspartei anzuordnen, zu ändern oderanderweitig vorzuschreiben, dass die Vertragsparteienbestimmte Maßnahmen ergreifen, wie z. B. ein Verbot oder die Aufnahme von Reisenden, die Auferlegung von Impfvorschriften oder therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen oder die Durchführung von Sperrmaßnahmen.«
Der Pandemievertrag beinhaltet auch keine Durchsetzungsmechanismen. In jeder Hinsicht bleiben die veränderten Internationalen Gesundheitsvorschriften vielgefährlicher, die für alle Staaten in Krafttreten, sofern sie nicht die bis zum 19. Juni ablehnen (Opt-out-Regelung).
Die Machtbefugnisse von Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus wurden durch die fragwürdigen Änderungen der IGV erheblich ausgeweitet. Nach »Feststellung« einer Notlage kann der Generaldirektor über sogenannte »Empfehlungen« (Art. 15, 18) die 196 Vertragsstaaten und damit nahezu alle Staaten der Welt zu massiven Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten, vor allem auch zu Pflichtimpfungen anhalten. Es gibt keine unabhängige Kontrollinstanz zur Überprüfung derart weitreichender Entscheidungen!
Da die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften damals mit der Brechstange durchgesetzt wurden, war die Entstehung eines »milderen Pandemievertrags« eine Notwendigkeit, um nicht nochmals zu scheitern. Wir können festhalten, dass der Pandemievertrag viel von seiner ursprünglichen Gewalt verloren hat, aber er bleibt immer noch gefährlich.
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, mit Sophia, der ersten Roboter-Bürgerin auf der »Weltkonferenz der guten Künstlichen Intelligenz« 2018 (Orig. AI for Good Global Summit).