Mitten in Deutschland

Blinder Hass gegen russische Kinder

Zum Brandanschlag auf die Internationale Lomonossow-Schule in Berlin-Marzahn

Von Ilia Ryvkin

Am 11. März, am Freitagmorgen gegen 3:20 Uhr verübte ein bisher unbekannter Täter einen Brandanschlag auf die Internationale Lomonossow-Schule in Berlin-Marzahn. Ein Passant bemerkte zufällig den aufsteigenden Rauch an der Schulturnhalle des Internationalen Bildungscampus und benachrichtigte umgehend Polizei und Feuerwehr.

Der Eingangsbereich der Turnhalle wurde durch einen Brandsatz, der auf ukrainisch »Bandera-Smusi« heißt, andernorts »Molotow-Cocktail« genannt wird, bis auf die Bausubstanz stark beschädigt. Das Feuer konnte von der Feuerwehr unter Kontrolle gebracht und gelöscht werden. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden. Der Staatsschutz, die für politische Straftaten zuständige Abteilung des Landeskriminalamtes (LKA), hat umgehend die Ermittlungen aufgenommen.

»Wir gehen von einer Vorsatztat und einem Zusammenhang zum Krieg mit der Ukraine aus«, kommentierte ein Polizeisprecher am Freitag. Die Schulleitung, Eltern, Schüler und Anwohner zeigen sich fassungslos angesichts der Tat. Alexander Ott, Schulkoordinator der Schule, betont, die Schule sei international. Dort lernen Kinder aus 20 Nationen gemeinsam, Kinder deutscher, russischer, jüdischer, ukrainischer Herkunft, Kinder aus Belarus und den baltischen Staaten. An der Schule werden Benefizaktionen für ukrainische Kinder veranstaltet. Die Kinder sind verständlicherweise zutiefst verstört, sie können nicht verstehen, warum sie und ihre Schule jetzt Opfer des aktuellen Russenhasses geworden sind. Wie müssen sich diese Kinder jetzt wohl fühlen?

Handelt es sich

bei der Tat um einen Einzelfall?

Diese Frage kann man eindeutig verneinen. Der Brandanschlag auf die Internationale Schule in Berlin-Marzahn ist nur einer von mittlerweile über hundert Vorfällen mit anti-russisch motiviertem Hintergrund, die allein in Berlin, in den letzten Tagen bei der Polizei gemeldet wurden. Unter anderem wurden Gebäude russischer Bewohner, Geschäfte und russische Vereine beschmiert und beschädigt, russischsprachige Menschen wurden beleidigt, bespuckt und angegriffen, sowohl Botschaftsmitarbeiter als auch Privatpersonen.

Allein in Berlin leben 26.000 Menschen mit russischem Pass. Insgesamt leben in Deutschland mehrere Millionen russischsprachiger Menschen. Die genaue Zahl ist schwer feststellbar, denn zu ihnen zählen Spätaussiedler, Russlanddeutsche, jüdische Flüchtlinge und eingewanderte Familien aus verschiedenen Staaten der früheren Sowjetunion. Müssen diese Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten gut integriert ein Teil unserer Zivilgesellschaft geworden sind, nun um Leib und Leben fürchten?

Wird der Hass gegen Russen

ein Teil unseres Alltags?

Meist handelt es sich bei den gemeldeten Taten um »harmlosere« Delikte wie Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung. Mit dem Angriff auf eine Schule jedoch, an der Kinder aus so vielen verschiedenen Nationen friedlich zusammenleben, wurde nun eine unausgesprochene Grenze überschritten, was man nicht unkommentiert stehen lassen darf.

Die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verurteilte den Brandanschlag auf die Schule. Jede Art von »Angriffen, Hetze, Beleidigung und Gewalt gegen russischsprachige oder russischstämmige Bürger ist inakzeptabel«, so die mächtige Abschreiberin. Giffey drückte ihre Besorgnis darüber aus, dass sich Menschen mit russischen Wurzeln seit Beginn des Krieges in Deutschland nicht mehr sicher fühlen könnten und sich immer öfter mit Anfeindungen konfrontiert sähen.

Die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine dürfen, laut Giffey, nicht den russischstämmigen Menschen in Deutschland angelastet werden. Die Zahlen in den Polizeiberichten geben jedoch zu schlimmsten Befürchtungen Anlass. Allein in NRW wurden laut Polizei in der ersten Märzwoche 49 antirussische Übergriffe angezeigt, von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen. In ganz Deutschland werden täglich anti-russische Übergriffe gemeldet, es scheint schon fast zu unserer »neuen Realität« zu gehören, dass man Menschen allein aufgrund ihrer russischen Herkunft ausgrenzen, beleidigen und verprügeln »darf«.

Es ist selbstverständlich, dass jede einzelne dieser anti-russischen Taten zu verurteilen und ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft ist. Durchaus nachvollziehbar ist auch, dass viele Menschen in Deutschland von der derzeitigen Kriegssituation verstört und überfordert sind. Wir haben Jahrzehnte relativen Friedens in Europa erlebt. Der Krieg ist uns glücklicherweise fremd geworden und wir sind zusätzlich ausgelaugt von zweieinhalb Jahren massiver Grundrechtseinschränkungen und Repressalien durch die Corona-Maßnahmen. Es ist verständlich, dass bei vielen die Nerven blank liegen.

Man kann durchaus versuchen zu verstehen, dass die daraus erwachsende Überforderung die Hemmschwelle zur Gewalt sinken lässt und sich Hilflosigkeit irgendwann kanalisiert in Aggression, gegen diejenigen, die vermeintlich für die Situation verantwortlich sind: Gestern waren es »die Ungeimpften«, jetzt sind es »die Russen«.

Trotzdem wurde mit dem feigen Brandanschlag gegen die Kinder der Internationalen Schule in Berlin-Marzahn eine zivilisatorische Norm verletzt, in einem Ausmaß, das bisher unvorstellbar schien.

Was haben Kinder in Deutschland

mit Putin zu tun?

In den letzten Wochen gab es in Deutschland Unmengen an Solidaritätsbezeugungen für die Ukraine, Hilfe für ukrainische Flüchtlinge erschien als eine Selbstverständlichkeit. Doch wo bleibt die Solidarität mit den Kindern, deren ureigener Ort – an dem sie Sicherheit, Gemeinschaft mit verschiedensten Nationen und Kulturen wie selbstverständlich erfahren durften –, nun durch diese niederträchtige Tat verletzt wurde? Und wo blieb übrigens auch unsere Solidarität mit den Tausenden ermordeten und verletzten russischen Kindern im Donbass und den lebendig verbrannten Russen in Odessa, am 02. Mai 2014?

Was muss im Kopf eines Kindes vorgehen, das auf die Internationale Schule in Berlin-Marzahn geht und das nun plötzlich zum Feindbild geworden ist, von gesichtslosen, ehrlosen Tätern, die nicht einmal davor zurückschrecken eine Schule anzuzünden? Was kommt als Nächstes, wie wird diese Lage weiter eskalieren, wenn nicht endlich bei uns allen die Vernunft einsetzt? Wenn endlich ein Verständnis entsteht, für eine ganz einfache Tatsache: Kinder sind nicht die Ursache und nicht die Verantwortlichen für diesen Krieg und sie müssen geschützt werden, sie verdienen unsere umfassende und aufrichtige Solidarität. Jetzt. – Und das am Rande: Kinder waren auch nie Virenschleudern, die Oma und Opa umbringen.

Die Gewalt gegen russischstämmige Menschen, nicht nur gegen Kinder, muss sofort aufhören. Wir sind verpflichtet, dem Hass ein Ende zu setzen. Wir müssen unsere Regierung zur Verantwortung ziehen, sich der Aggression gegen Menschen mit russischen Wurzeln auch wirksam entgegenzustellen und nicht nur, doch ganz besonders, die Kinder, zu schützen. Der Hass gegen Russen auf deutschem Boden muss aufhören – jetzt, sofort und bedingungslos.

Es geht diesen Kindern nicht um Putin und seine Politik. Kinder wollen lernen, wachsen, spielen, die Welt entdecken. Kinder wollen einfach nur in Sicherheit leben dürfen, sie haben ein Recht darauf. Wenn wir uns nur ein Mindestmaß an Zivilisation bewahren wollen, müssen wir dieses Recht verteidigen.

Stoppt den Hass gegen Russen! Lasst uns nach Gemeinschaft, Verständigung, Koexistenz streben, nehmen wir uns die Kinder an der Internationalen Lomonossow-Schule zum Vorbild, denn sie sind schon einen Schritt weiter, als wir Erwachsene.




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 82 am 11. März 2022




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