»Der, der überlebt, versorgt die Kinder.«

Für die 196 Todesopfer der Flut kam jede Warnung zu spät. | Von Martin Lejeune

Von Martin Lejeune

© Bild: DW

Dies sind nur drei von unzähligen Dramen, die sich in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ereigneten: In Marienthal starb eine ganze Familie in ihrem Haus, in dem der Wasserpegel rasend schnell um mehrere Meter stieg. Noch heute finden die Helfer Leichen im Raum Marienthal.



Zwei Schwestern flüchten über das Dachfenster ihres im Nu gefluteten Hauses auf einen Baum, in dem sie sieben Stunden lang hängen, bis sie gerettet werden. Die eine Schwester sagt in der Baumkrone zur anderen: »Der, der überlebt, versorgt die Kinder.«

Eine Mutter, die vor ihrem unbewohnbaren Haus in Dernau um Fassung ringt, berichtet: »Wir saßen mit unseren Kindern 18 Stunden lang auf demDach und es kam keine Hilfe. Unsere Kinder haben sich in der Nacht von uns verabschiedet. Sie haben gesagt, dass sie uns lieben – und wenn sie sterben...« Während der 18 Stunden sah die Familie vom Dach aus ganze Güterzüge, Gastanks und LKW vorbeischwimmen. Im Einsatz war auch der Kampfmittelräumdienst, weil verborgene Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg freigeschwemmt wurden. Auch war die Feuerwehr im Einsatz wegen austretender Salzsäure und geplatzten Gaslei-tungen. Die Lage war und ist teilweise noch heute hochgefährlich.


KATASTROPHE MIT ANSAGE


196 Menschen, die bei den Unwettern in Teilen Deutschlands, Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande vergangene Woche starben (Stand 19. Juli 2021 um 19:29 Uhr), können ihr durch das Hochwasser verursachte Leid nicht mehr erzählen. Für sie kam jede Warnung zu spät. Dabei hatte das Europäische Hochwasserwarnsystem (EFAS) bereits am 10. Juli die ersten Warnungen an die zuständigen nationalen Behörden geschickt. Bis zum 14. Juli wurden mehr als 25 Warnungen für das Einzugsgebiet von Rhein und Maas durch das EFAS versendet.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) meldete am 11. Juli 2021 um 13:51 Uhr eine Hochwasserfrühwarnung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Am 12. Juli 2021 wurden weitere Warnmeldungen medial verbreitet: So warnte Markus Rüdel, Sprecher des Ruhrverbands , vor vollen Talsperren. Der Meteorologe vom Dienst des Deutschen Wetterdienstes, David Bötzel, prognostizierte Niederschlagsmengen von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter und die Diplom-Meteorologin Sabine Krüger sagte »lokale Sturzfluten, Erdrutsche oder Überschwemmungen«
voraus und riet Hausbesitzern zum Einsatz von Sandsäcken.

Das Modulare Warnsystem (MoWaS), ein vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe entwickeltes System zur Warnung der Bevölkerung in Deutschland für Zivilschutzlagen, meldete laut Armin Schuster, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, zwischen dem 14. und dem 17. Juli »150 Warnmeldungen« der verschiedenen Kategorien, 16 davon mit der Warnstufe 1 (Lebensgefahr). MoWaS steht auch den Ländern zur Warnung vor Katastrophen zur Verfügung.


DIE WARNUNGEN ERREICHEN
DIE MENSCHEN NICHT


Stefan Fries vom Deutschlandfunk sagt, er habe diese 150 Warnmeldungen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe angefordert, habe sie jedoch nicht erhalten. Es sei vor einer überlaufenden Talsperre gewarnt worden ab 21 Uhr. Aber die höchste Warnstufe (Lebensgefahr) kam erst 0:23 Uhr.Georg Rose, seit 1997 Chefredakteur des Lokalsenders Radio Wuppertal, sagt, er sei bereits vor der ersten MoWaS-Warnmeldung über die anstehende Katas-trophe informiert worden: »Genau in dem Moment, als die erste Warnmeldung kam, haben wir schon unsere Sondersendung gestartet. Wären wir auf MoWaS angewiesen, hätten wir unsere Hörerinnen und Hörer erst eine halbe Stunde später informieren können. Und 30 Minuten sind in einer solchen Gefahrensituation eine lange Zeit.« Im Raume stehen schwere Vorwürfe. Die Vorwarnung der Bevölkerung hat überwiegend nicht funktioniert. Dass es Möglichkeiten dazu gab, zeigt das Beispiel der Stadt Wuppertal, wo die Bevölkerung gewarnt wurde. Eine Ausnahme.


NICHT MAL DER WETTERBERICHT
DER ARD STIMMT


Wenn es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, den alle Bürger zwangsweise finanzieren müssen, kann von diesem erwartet werden, dass er sich im Gegenzug darum kümmert, die Bevölkerung mit relevanten Informationen zu versorgen, zumal mit lebenswichtigen Informationen. Nicht so der WDR. Der verpennte das Ereignis, versäumte die Bevölkerung zu alarmieren, aber spuckt nun große Töne, wenn es darum geht, den Klimawandel als Ursache der Katastrophe zu verkaufen. – Es erscheint grotesk, wenn ausgerechnet der aufgeblähte WDR Personalknappheit für seine Fehlleistung mitverantwortlich macht.

Über die sich ankündigende Naturkatastrophe wurde im SWR sogar verharmlosend und ohne konkrete Warn- und Verhaltenshinweise berichtet. So lautete die Wettervorhersage für das Hochwassergebiet am 14. Juli um 17:00 Uhr:

»In der Nacht regnet es zunächst noch leicht.« Wir reden hier von einer Nacht, in der es allein im Sendegebiet des SWR über 100 Todesopfer durch Regen gab!


AM ENDE IST DER HIMMEL SCHULD


Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) versuchte im englischsprachigen Magazin Politico am 15. Juli 2021, einen Bezug von der hausgemachten Überschwemmungskatastrophe mit Todesopfern zum Klimawandel herzustellen. Es hat wohl weniger mit dem Klima zu tun als mit einem ganzen Strauß von externen Faktoren, von denen das mangelhafte Meldewesen und überforderte örtliche Krisenmanagement nur einen Ausschnitt darstellen. Bekannt ist, dass eine dichte Bebauung ehemaliger Auen, die Begradigung von Flüssen und die Versiegelung großer Flächen dazu beitrugen, dass es nicht nur zu dieser Katastrophe kommen konnte, sondern dass sie vorhersehbar war.


NICHT OMINÖSE KRÄFTE,
SONDERN MENSCHEN ENTSCHEIDEN


Am Ende bleibt stehen, dass diese Katastrophe hausgemacht ist und die Versuche, einen Zusammenhang zu Klimagefahren zu konstruieren, ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver sind. Längst ist unter Wissenschaftlern bekannt, dass die verfügbaren Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes der letzten Jahre belegen, dass die Regenmenge in unseren Sommern nicht zugenommen hat und es keine Zunahme von Extremwetterereignissen gibt. Das dokumentieren auch Studien der Universität in Canberra, der Oxford Universität und des Umweltbundesamtes.

Diplom-Meteorologe Marcus Beyer, Deutscher Wetterdienst, stellte am 15. Juli 2021 auf der Plattform Twitter die entscheidende Frage: »Warum sind so viele Menschen gestorben? Warnungen wurden Tage im Voraus ausgegeben. Das Ausmaß der Niederschläge wurde von den Modellen in den kommenden Tagen gut erfasst. Erste Vorwarnungen wurden drei Tage im Voraus ausgegeben. Zwei Tage im Voraus wurde über MoWaS gewarnt. Trotz der langen Vorlaufzeit konnten so viele Menschen nicht mehr geschützt werden und mussten sterben.«


Martin Lejeune ist freier Journalist und berichtet über den Videokanal »Anni und Martin« auf Youtube aus dem Krisengebiet.






Dieser Text erschien in Ausgabe N° 56 am 30. Juli 2021




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