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Ein Jahr Demokratischer Widerstand

Eine Analyse des Zeitungswunders

Von Prof. Michael Meyen

Die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand ist ein Kind der Leitmedien und des Drucks, den das Wahrheitsregime auf alle Herausforderer im Kampf um Deutungshoheit ausübt. Dass dieses Kind jetzt ein Jahr alt wird, ist für Redaktion, Sponsoren und Fans ein Anlass anzustoßen (Glückwunsch und Prost!), für den traditionellen Journalismus aber ein Menetekel. Achtung: Ihr verliert euer Publikum! Mehr noch: Dieses Publikum schreibt seine Zeitung künftig selbst! Anders formuliert: Wenn alle zufrieden sind mit dem, was in der Arena der Leitmedien diskutiert wird, hat niemand einen Grund, seinen Platz auf der Tribüne zu verlassen und selbst Themen oder Positionen in der Öffentlichkeit zu platzieren. Das war in der Bundesrepublik der 1970er Jahre nicht anders als in der späten DDR.

Die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand ist trotzdem keine Wiedergängerin der taz (gegründet 1979 als Krönung einer Alternativpressebewegung, die im deutschen Herbst wurzelte, im Kampf gegen den Atomtod und gegen Springer sowie in allem, was sonst so diskutiert wurde nach »68«) und auch keine Kopie der Oppositionsblätter, die in ostdeutschen Kirchenkellern hektografiert wurden. Print ist eigentlich längst tot. Alle sind inzwischen online. Die Werbung, die meisten Verlage und vor allem die Jugend, die keine Zeitungen mehr liest und schon gar keine mehr kauft. Das fordert einen Medienforscher wie mich heraus. Wie ist es möglich, gegen alle Trends und Wahrscheinlichkeiten eine gedruckte Wochenzeitung zu etablieren und damit auch noch Erfolg zu haben? 

VERSTÄNDIGUNG, AUSGLEICH UND GESELLSCHAFTLICHER FRIEDEN

Antwort eins: Die Leitmedien sind schuld. Die Leitmedien erfüllen den Auftrag Öffentlichkeit nicht und schaffen so Raum für einen Konkurrenten wie die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand. Der Auftrag Öffentlichkeit wurzelt im Pluralismusmodell: In der Gesellschaft gibt es viele Meinungen und Interessen, die prinzipiell gleichberechtigt sind (die Interessen von Einzelpersonen und Außenseitern genauso wie die Interessen, die in Parteien oder Verbänden organisiert sind). Verständigung, Ausgleich und gesellschaftlicher Frieden sind nur möglich, wenn all diese Interessen in den Leitmedien gehört werden, ohne dass die (Ab-)Wertung gleich mitgeliefert wird. Leitmedien sind dabei solche Angebote, die auf dem Tisch von Entscheidungsträgern landen und dort genau wie in der Bevölkerung symbolische Gewalt entfalten, weil wir unterstellen müssen, dass andere sie ebenfalls wahrnehmen und ihr Verhalten entsprechend ausrichten. Auf eine Formel gebracht: Was nicht in den Leitmedien erscheint oder was dort nicht als legitim markiert wird, das existiert nicht (egal ob Themen, Personen oder Positionen).

Wir alle wissen, was die großen Tages- und Wochenblätter oder die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus der Bewegung gemacht haben, die die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand hervorgebracht hat. Ich wiederhole hier nur die Schlagworte. Corona-Leugner, Covidioten, Corona-Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Antisemiten, Reichsbürger. Wer je auf einer der Demos war oder sich sonst irgendwie engagiert hat, kennt eine Wirklichkeit, die mit dieser Medienrealität allenfalls entfernt verwandt ist. Diese Menschen brauchen einen Ort, an dem sie diskutieren können, was sie umtreibt, und Input finden. Die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand ist so ein Ort.

MEINUNGSFREIHEIT UND DIE GRUNDFESTEN DES JOURNALISMUS

Antwort zwei: Das Internet ist zwar unendlich groß, aber schon lange nicht mehr frei. Die gleichen Kräfte, die die Leitmedien gekapert haben (etwas verkürzt: Politik, Behörden, Wirtschaft und Moral), setzen alle unter Druck, die das Corona-Wahrheitsregime in Frage stellen. Es gibt längst Planspiele für ein »Cyber 9/11«, die das Netz mit einem »feindlichen Waffensystem« gleichsetzen. In manchen Ländern belässt man es nicht bei der Planung. Yoweri Museveni, seit 1986 (!) Ugandas Präsident, sperrte vor und nach der Wahl im Februar 2016 für ein paar Tage Facebook, Twitter und WhatsApp und bei der nächsten Wahl im Januar 2021 dann auch die Webseite seines Herausforderers Bobi Wine. Unruhen verhindern, na klar.

Afrika ist heute überall. In Deutschland kündigen Banken NetzmedienBetreibern die Konten. Fundraising-Dienstleister wie Steady beenden die Zusammenarbeit, wenn ihnen die Inhalte nicht mehr passen. Youtube blockiert und löscht Kanäle oder einzelne Videos. Wer auf den »falschen« Seiten auftritt oder publiziert, wird mit Kontaktschuld-Vorwürfen überzogen und oft genug zum Kotau gezwungen. Und die Landesmedienanstalten werfen Onlineanbietern wie KenFM vor, gegen »journalistische Regeln« verstoßen zu haben (was immer damit genau gemeint sein mag), und drohen mit Sanktionen. Die Leitmedien klatschen zu alldem Beifall oder schweigen – genau wie bei Julian Assange, obwohl es hier wie dort um Meinungsfreiheit geht und um die Grundfesten des Journalismus.

GESELLSCHAFT BRAUCHT UNABHÄNGIGE KANÄLE

Antwort drei liegt deshalb auf der Hand. Wenn die etablierten Redaktionen mit Regierungen und Lobbyisten kungeln und wenn Ressourcen und Macht entscheiden, was in den Leitmedien veröffentlicht wird und was nicht, dann braucht die Gesellschaft Kanäle, die unabhängig von solchen Rücksichten funktionieren. Das können Plattformen im Internet sein (unglaublich, was sich dort an Qualität entwickelt), Schulungszentren oder eine Wochenzeitung wie der Demokratische Widerstand. Das klingt schon fast nach einem Schlusswort, abzuschließen mit einer Grußformel. »Ad multos annos – auf viele Jahre« vielleicht. Ich wünsche mir aber eher, dass sich dieses Projekt eines Tages selbst abschafft und die Redaktion wieder etwas anderes machen kann. Denn dann würden Journalismus und Leitmedien endlich das liefern, was sie in Sonntagsreden versprechen und wofür wir sie bezahlen. Über den Autor: Michael Meyen, Prof. Dr., Jahrgang 1967, studierte an der Sektion Journalistik und hat dann in Leipzig alle akademischen Stationen durch- laufen: Diplom (1992), Promotion (1995), Habi- litation (2001). Parallel arbeitete er als Journalist (MDR info, Leipziger Volkszeitung, Freie Presse). Seit 2002 ist Meyen Professor am Institut für Kom- munikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienrealitäten, Kommunikations- und Fachge- schichte sowie Journalismus. 


Über den Autor: Michael Meyen, Prof. Dr., Jahrgang 1967, studierte an der Sektion Journalistik und hat dann in Leipzig alle akademischen Stationen durchlaufen: Diplom (1992), Promotion (1995), Habilitation (2001). Parallel arbeitete er als Journalist (MDR info, Leipziger Volkszeitung, Freie Presse). Seit 2002 ist Meyen Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienrealitäten, Kommunikations- und Fachgeschichte sowie Journalismus. 




Dieser Text erschien in Ausgabe N° 44 am 16. Apr. 2021




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