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DIE ZENSURWELLE
Wer das freie Wort angreift, hat Angst
Von Milosz Matuschek
1933 saß Sebastian Haffner als junger Rechtsreferendar in einer Berliner Bibliothek über einem Aktenstück, als die Tür aufging und SA-Leute forderten, dass alle Nichtarier den Ort zu verlassen hätten. Ehe er sich versah, stand schon ein Braunhemd vor ihm und bellte die Frage: »Sind Sie arisch?« Haffner, der die Unterscheidung in Arier und Nichtarier ablehnte, antwortete trotzdem verdutzt mit »ja« und wurde in Ruhe gelassen. Hinterher notierte er in seinen Aufzeichnungen den Satz: »Versagt in der ersten Prüfung.«
Erleben wir gerade nicht wieder so einen Sebastian-Haffner-Moment? Es grassiert ein doktrinärer, totalitärer Zeitgeist bei einigen Journalisten und Politikern, die in Freund und Feind unterteilen, diffamieren und hetzen. Besonders heftig gerade gegen Kritiker der Coronapolitik der Bundesregierung, die als Spinner, Covidioten und Extremisten unmöglich gemacht werden sollen. Differenziert und diskutiert wird nicht mehr. Es herrscht ein Informationskrieg, ein Kollaps des öffentlichen Debattenraums. Der Debattenraum ist das Herz der Demokratie, und dieses setzt gerade hin und wieder aus.
DIE ZENSURSCHRAUBE WIRD ANGEZOGEN
Soeben wurden die massivsten Grundrechtseingriffe der Geschichte des
Grundgesetzes in Form des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes im Eiltempo
verabschiedet. Und es war ausgerechnet
in dieser sensiblen Phase, wo die Zensurschraube der letzten Wochen nochmal
merklich angezogen worden ist. Scheinbar ist jegliche Kritik nur noch unter hohem Risiko möglich. Der Journalismus
versagt in der ersten Prüfung.
Zensiert: Allein in den letzten Wochen
verschwanden die reichweitenstarken
freien Kanäle KenFm, Rubikon und Samuel Eckert von YouTube: sie wurden
gelöscht oder sind (KenFM) akut von
Löschung bedroht. Ein Video von Gunnar Kaiser mit einem kritischen Text von
mir zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz: ebenfalls nach weniger als 24 Stunden gelöscht, inklusvie Sperre von einer
Woche. Es wird geblockt, stummgeschaltet, verwarnt und gelöscht. Die Cancel
Culture ist aus dem Kulturbereich in das
Corona-Thema geschlüpft und verrichtet dort nun ihr hässliches Werk weiter.
Die einfache Frage, die man sich als unbefangener Beobachter jetzt stellen kann
und als wachsamer Bürger auch muss,
lautet: Wenn alles gerade mit rechten
Dingen zugeht, so hervorragend wissenschaftlich abgesichert, verfassungskonform und moralisch einwandfrei ist: wovor hat man dann so eine Angst?
In unserer Spätdemokratie oder zunehmend »totalitären Demokratie« (Sheldon Wolin, Jacob Talmon) gibt es Doktrinen zu befolgen. Der Debattenraum ist
nicht frei, sondern teil-privatisiert; auf
verschiedene Gate-Keeper aufgeteilt.
Es wird geframed, gespint, gewichtet,
defragmentiert, Meinung und Tatsache
vermischt, kurz: der Leser bekommt ein
vielfach raffiniertes Produkt. Bis die Information beim Leser ankommt, muss
sie sich durch zahlreiche Filter durchkämpfen. Realität ist letztlich, was wir
durch Medien wahrnehmen, meinte der
Soziologe Niklas Luhmann. Was man
wahrnimmt, löst den psychologischen
Effekt des »WYSIATIS« (What You See
is All There is) aus. Man blendet das Unsichtbare aus. Wenn alle nun immer wieder das Gleiche sehen und hören, lässt
sich Konsens produzieren, wie Noam
Chomsky schon vor 30 Jahren wusste.
Die massive Eindämmung kritischer
Kanäle gerade jetzt kommt also sehr gelegen: je enger der Debattenraum ist, je häufiger ähnlich lautende Meldungen
und Narrative vernommen werden, desto leichter fabriziert man Konsens, also
vermeintliche Einigkeit durch künstliche Sichtfeldverengung. Dazu kommt
gerade noch rechtzeitig eine Propagandaaktion der Bundesregierung, in der
man erfährt, dass man zum »besonderen Helden« werden kann, wenn man
einfach nur auf der Couch bleibt, konzipiert von Joko & Klaas. In einer Zeit, die
höchste Wachsamkeit erfordert, ruft die
Bundesregierung den Souverän zu Faulheit und Apathie auf.
Überall also mehr Propaganda,
mehr Zensur, mehr Grundrechtseingriffe im Eilverfahren zur Ermächtigung eines Hygieneverordnungsregimes auf unbestimmte
Zeit. Und das passiert gerade jetzt,
und zwar alles im Zeitraffer. Das
ist keine Schludrigkeit, keine den
Umständen geschuldete eilige Notlage; das ist eine Machtübernahme
von Oben gegen den eigentlichen
Souverän, den Bürger.
DIE ESSENZ DES JOURNALISMUS
Echte Demokratie und echter Journalismus lassen sich nicht trennen. Der
italienische Publizist Paolo Flores d‘Arcais schreibt in seinem Buch »Die Demokratie beim Wort nehmen«, dass in
der echten Demokratie jeder Bürger ein
Fürst ist. Jeder hat deshalb gleichen Zugang zur Wahrheit zu bekommen, um
Entscheidungen treffen zu können. Das
ist die Aufgabenverteilung in der Demokratie: der Souverän entscheidet, der
Journalist versorgt ihn mit den relevanten Informationen und zwar so rein und
ungefiltert, wie möglich.
Diesem Ansatz fühlte sich zum Beispiel
ein Julian Assange verpflichtet. Er stand
für etwas, was er »wissenschaftlichen
Journalismus« nannte; die Quelle ist sozusagen die Information. Es geht nicht
darum, etwas zu framen, zu erzählen
oder jemanden zu überzeugen, sondern
darum, den Beweis in Bild, Schrift und
Ton für ein Ereignis zu liefern. Denken
kann der Bürger selbst. Diese radikale
Transparenz kann Verschwörung und
Korruption zerschlagen: niemand wäre
mehr sicher vor Entdeckung. Die Enthüllungsplattform Wikileaks ist eine
Wahrheitsmaschine, und auch sie stockt
gerade: Ihr Gründer wartet zur Stunde
auf sein Auslieferungsurteil in die USA,
wo ihm 175 Jahre Gefängnis wegen Veröffentlichung wahrer Informationen
über Kriegsverbrechen u.ä. drohen – in den USA nennt man derartigen investigativen Journalismus inzwischen: »Spionage«.
Es gibt zwei Arten, Journalismus zu
betreiben, so wie es offenbar auch zwei
Arten gibt, Demokratie zu organisieren:
von oben nach unten oder von unten
nach oben. In der Konstellation des top
down ist der Journalist ein Wächter, ein
Aufseher; letztlich Teil der »Priesterkaste« (Schelsky). Walter Lippmann zum
Beispiel stand für dieses, an Platons Kastenwesen angelegtes System.
Lippmann war einer der bedeutendsten
Journalisten und Kolumnisten des 20.
Jahrhunderts; er beriet Präsidenten, erfand den Begriff »Kalter Krieg« und sah
sich als Teil einer institutionalisierten,
mitregierenden Vierten Gewalt. Menschen interessieren sich seiner Ansicht
nach wenig für spröde Fakten, also die
Wahrheit. Sie denken in Stereotypen,
reagieren auf Emotion und Bilder. 40
Prozent des Inhalts einer Tageszeitung
stammen inzwischen aus PR-Agenturen, schrieb mal der SPIEGEL. Propagandafiguren wie Rainald Becker (ARD),
Olaf Sundermeyer (RBB), Sascha Lobo
(Spiegel), Mai Thi Nguyen-Kim (Mai
Lab) sorgen dafür, dass für die Regierung nichts anbrennt. Wenn unten rauskommt, was man oben reingibt, braucht
es Journalismus allerdings nicht. Das
kann auch der Pressesprecher der Regierung.
Mit der zweiten Form des Journalismus, von unten nach oben, produziert
man hingegen am ehesten das, was man,
wenn schon nicht »Wahrheit«, dann
zumindest einen »unverstellten Zugang
zur Wirklichkeit« nennen kann. Denn
hier arbeitet der Journalist direkt für den
Bürger und nicht für eine Institution mit
eigenen Interessen. Für dieses Modell
des Journalismus steht John Dewey: dezentral, von unten nach oben, möglichst
direkt und ausschließlich wahrhaftig.
Der echte Journalist ist wie ein Minenarbeiter im Stollen, der sich durch Geröllhaufen an unwesentlichen Informationen arbeitet, um ein paar Goldkörner
an Wahrheit zu Tage zu fördern. Nur
dafür hat er Lohn vom Leser verdient.
Niemand bezahlt nämlich freiwillig Geld
für Propaganda, also Werbung. Deshalb
brauchen öffentlich-rechtliche Medien
Zwangsgebühren und Corporate Publishing braucht mangels Annoncen gerade entweder Zuschüsse von Stiftungen
(die Gates-Stiftung förderte den Spiegel
mal mit 2,3 Millionen Euro), von Google
oder Steuergelder.
SIE HABEN ANGST VOR UNS UND DAS ZU RECHT
Guter Journalismus ist das, wovor
Mächtige oder alle, die etwas zu verbergen haben, zu Recht Angst haben. Die
wertvollste Ressource des Journalisten
ist Glaubwürdigkeit. Sie ist deshalb so
wertvoll, weil man sie nicht kaufen kann.
Das Geschäftsmodell des alten Journalismus fällt, während ein freier, neuer
Journalismus gerade erst anfängt, abzuheben.
Und es brodelt gerade bei vielen, auch
bei Politikern und Journalisten. Immer
mehr wähnen sich im falschen Film,
immer mehr zweifeln zwischen dem,
was sie glauben sollen, und dem, was
sie sehen. Wir erleben gerade, wie sich
die Überwachungswelt eines Orwell aus
»1984« zu einem hässlichen Pärchen
mit der »Schönen neuen Welt« Huxleys
vermählt, in welcher sedierte Menschen
in einer Wohlfühlunterhaltungswelt
künstlich glücklich gehalten werden.
Dagegen steht jedoch immer ein letztlich unsterblicher Freiheitsdrang des
Individuums und die Sehnsucht einer
wachsenden Anzahl von Menschen, die,
wie es Václav Havel mal ausdrückte, »in
der Wahrheit leben wollen«. Die Wahrheit setzt sich am Ende immer durch, die
Göttin Aletheia aus der Mythologie ist
die Tochter des Chronos, also der Zeit.
Wer in ihrem Namen Journalismus betreibt, steht auf der richtigen Seite. Auch
wenn man den Preis dafür gerade hochschraubt.
Milosz Matuschek ist Jurist und Publizist. Er hat mehrere
Bücher veröffentlicht und war bis vor kurzem langjähriger Kolumnist der NZZ. Er betreibt den reichweitenstarken
Blog »Freischwebende Intelligenz« (miloszmatuschek.
substack.com) und ist zusammen mit dem Youtuber und
Philosophen Gunnar Kaiser Initiator des »Appells für freie
Debattenräume« (idw-europe.org).
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